Giiwas/Crater Lake

von Stefan Livo, 16.11.2018.

Zusammenfassung

Eine traditionelle Erzählung der Klamath Tribes (ein Zusammenschluss der Stämme der Klamath, Modoc, and Yahooskin) erinnert an einen verheerenden Kampf zwischen mythischen Charakteren, in dessen Verlauf ein ganzer Berg in die Luft gesprengt und das Land in ein Meer aus Flammen verwandelt wurde. Sehr wahrscheinlich beschreiben die Erzählungen, wie die Vorfahren der Klamath den Zusammensturz Mount Mazamas vor mehreren tausend Jahren beobachteten und wie der einst mächtige Vulkan in einen Kratersee verwandelt wurde. Die lokalen indianischen Stämme nennen den Ort bzw. den See Giiwas, die euro-amerikanischen Neuankömmlinge tauften ihn Crater Lake. Die in der Zeit der Indianerkriege aufgezeichneten die Ortserzählungen (landmark stories) der Klamath Tribes bilden ein alternatives Archiv zu den geologischen Studien des Kraters; sie belegen die weit zurückreichende Siedlungsgeschichte dieser Kultur in dem Gebiet sowie ihre  tiefe Verbundenheit zum Land und die immense Speicherkapazität ihrer mündlichen Traditionen. Allerdings wurden mit der Ankunft der ersten weißen Siedler die indianischen Ansprüche auf das Land und ihr Wissen darüber infrage gestellt.

Abb. 1: „Mount Mazama Erupting“ (1940) ist eines von drei Gemälden von Paul Rockwood, die den Ausbruch und Kollaps Mount Mazamas dokumentieren.

Giiwas/Crater Lake ist der Schauplatz eines kataklysmischen Ereignisses, das sich vor ungefähr 7.700 Jahren im Süden Oregons zutrug. Es ist auch ein Ort, der für die Klamath Tribes (Klamath, Modoc, Yahooskin) und deren Vorfahren (die Ma’Klaks) seit Jahrtausenden heilig ist. Der Begriff ‚Crater Lake‘ bezieht sich dabei auf beides: den vulkanischen Krater und den See, der sich in diesem befindet. In der Sprache der Klamath/Modoc wird der Krater, der sich in einer Höhe von 2.100 bis 2.400 Metern befindet, auch Tum-sum-ne („der große Berg mit dem abgeschnittenen Gipfel“[1]) genannt, während der See selbst heute Giiwas oder Gii-was genannt wird (Alatorre in Juillerat, 11). Crater Lake spielt eine zentrale Rolle in den mündlichen Traditionen der Klamath und Modoc, die den Ursprung, die Umwandlung und die spirituelle Bedeutung des Ortes aufzeichnen.

Mündliche Traditionen über den Ursprung Crater Lakes stimmen mit Geschichten aus der Kolonialzeit darin überein, daß sie von einem gewaltigen Kampf zwischen zwei mythischen Wesen (Spirits) in uralten Zeiten erzählen. Einer der zwei Kontrahenten, bekannt als Lao, lebt im Moyaina – dem Berg, den Siedler später Mount Mazama nannten (nach einer Vereinigung von Bergsteigern, den ‚Mazamas‘), nachdem sie das kataklysmische Ereignis rekonstruiert hatten, das Crater Lake produziert hatte. Nach Auskunft der heute bekanntesten transkulturellen Überlieferung (von Colvig/Clark) wird Lao wütend, als die wunderschöne Jungfer Loha, Tochter eines menschlichen Häuptlings, ihn zurückweist. Sein Gegenspieler, der in dieser Version Skell genannt wird, hat sein Quartier in Mount Shasta; in vielen anderen Überlieferungen befindet es sich im nahegelegenen Yamsay Mountain. Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung stehen die beiden Rivalen ihren jeweiligen Berggipfeln – Mount Mazama und Mount Shasta – und schleudern Feuerbälle aufeinander bis Laos Berg in sich zusammenstürzt und Lao in einem feurigen Schlund verschlingt. Diese Version der Erzählung erhielt William M. Colvig, ein in Fort Klamath stationierter Soldat, nach seinen Angaben erstmals vom alten Klamath-Häuptling Lalek im Jahr 1865. Im einzig erhaltenen Manuskript erklärt Colvig jedoch, dass er das Original-Transkript auf seinen Reisen in einem Fluss in der Nähe verloren habe. Er behauptet später, mehrere Fassungen der Erzählung niedergeschrieben zu haben (1892, 1912 und 1921). In seiner letzten Fassung beschreibt er den feurigen Kampf und wie dieser die Landschaft und die lokalen Stämme betraf:

„Felsbrocken lösten sich von den Bergen unter dem Fußabdruck der Giganten, die von ihren Gipfeln den Fluch des Feuers über das gesamte Land warfen. Feuer schoss aus Kequila Tyees [Laos] Schlund, und verschlang wie ein Flammenmeer die Wälder und breitete sich aus, bis es die Häuser der Menschen erreichte. Rote, heiße Felsen, so groß wie Hügel, donnerten in den mitternächtlichen Himmel. Brennende Asche fiel hernieder wie Regen. Die Menschen eilten ins Wasser des Sees um dem feurigen Fluch zu entfliehen. Mütter standen dort mit ihren Babys in den Armen und beteten, dass der mächtige Krieg der Götter ein Ende finden möge.“ (Colvig, 1921)

William Colvig war kein ausgebildeter Folklorist oder Völkerkundler. Er zeichnete die Erzählung auf Grundlage seiner Erinnerungen an das Gespräch mit Klamath-Häuptling Lalek auf. Colvig zufolge (1921) sprachen beide den Chinook-Jargon (eine indianische Pidgin-Sprache) und Lalek sprach zudem gebrochen Englisch. Andere Erzählungen wurden vom schweizerisch-amerikanischen Linguisten Samuel A. Gatschet und dem Amateur-Folkloristen Jeremiah Curtin gesammelt. Beide verfügten über erweiterte Kenntnisse in der Sprache der Klamath und Modoc und trugen ein beträchtliches Korpus an Texten zu Giiwas/Crater Lake zusammen.

Gatschet besuchte die Klamath im Herbst des Jahres 1877 und veröffentlichte seine Forschungsergebnisse in Klamath Indians of Southwestern Oregon (1890) in zwei Bänden. Die Bücher lieferen interlineare (Wort-für-Wort) Übersetzungen von Klamath-Erzählungen wie „The Mythic Tale of Old Marten,“ die Gatschet von Minnie Froben – der Tochter einer Klamath-Frau und eines französischen Siedlers – hörte. Die Erzählung handelt vom Kulturhelden und Transformer Gmukamps, in der Gestalt von Old Marten (‚alter Marder‘) und seines jüngeren Bruders Weasel (‚Wiesel‘).[2] An einer Stelle trifft Old Marten eine junge Frau, die von den Thunders (‚Donnern‘) verfolgt wird. Old Marten entschließt sich, zur Hütte der Thunders zu gehen und sie durch eine List zu töten:

„Old Marten setzte die Hütte in Brand und, auf dem Dach der Hütte stehend, wartete er darauf, dass die Thunders aus der Hütte stürmen. Draußen stehend lauschte er; endlich, als die Flammen kräftig loderten, erwachten die Thunders. Sie erstachen einander mit langen Klingen. ‚Martens jüngerer Bruder tötet euch!‘ Doch erstachen sie sich nur gegenseitig. Dann kamen alle in den Flammen um; ein Herz explodierte während es davonflog.“ (Gatschet I, 114)

Die Herzen aller Donnerwesen flogen in den Himmel und wurden von Gmukamps zum Explodieren gebracht. Das Donnern (i.e. Thunders) und das Feuer in der Erzählung wurde im Rahmen kataklysmischer geologischer und meteorologischer Ereignisse interpretiert. Obwohl die von Gatschet aufgezeichnete Version nicht auf einen bestimmten Ort verweist, verbindet Gatschet das Ereignis selbst an einer anderen Stelle in seinem Buch mit Giiwas/Crater Lake. Ähnlich wie in der Lalek/Colvig-Erzählung hilft der große Transformer Gmukamps einer Klamath-Frau, indem er sich in einen Kampf katastrophischen Ausmaßes einmischt. Die Existenz ähnlicher Erzählungen unter den Modoc deutet an, dass die Texte Teil eines Jahrtausende alten Zyklus mündlicher Traditionen sind, die den Zusammenbruch von Mount Mazama und die Entstehung von Crater Lake aufzeichnen und ästhetisch verarbeiten.

Eine andere bekannte Gruppe von Erzählungen befasst sich mit der Entstehung von Wizard Island, einem vulkanischen Aschekegel in Form einer Insel im Crater Lake. Mündlichen Traditionen der Klamath und Modoc zufolge ist diese Insel das Resultat einer weiteren gewaltigen Schlacht zwischen mythischen Figuren. Captain O.C. Applegate, ein Agent der Klamath Indian Reservation, zeichnete um 1900 „The Klamath Legend of La-o“ auf, die einen weiteren Kampf zwischen Skell (i.e. Gmukamps) und Lao beschreibt. Lao und seine Anhänger (Monster und riesige Krebse) aus Crater Lake stehlen Skells Herz und benutzen es für ein Ballspiel auf einem Feld nahe Crater Lake. Skells Anhänger nehmen an dem Ereignis teil, erobern das Herz ihres Anführers während des Spiels zurück und beleben ihn wieder. Skell überwältigt Lao und verfüttert dessen Körperteile an die Kreaturen in Crater Lake unter dem Vorwand, dass diese die Überreste Skells seien. Erst als Skell Laos Kopf in den See wirft erkennen die Kreaturen das Antlitz ihres Meisters und lassen den Kopf entsetzt zurück. Laos Kopf wurde später in Wizard Island verwandelt.

Gatschet und Curtin verweisen in ihren Forschungen über die mündlichen Traditionen der Klamath und Modoc auf ähnliche Erzählungen. Gatschet (I, xcviii-xcix) erwähnt nur kurz, dass Wizard Island die Überreste eines Giganten verkörpert, der in einem Kampf mit dem zuvor genannten Marten (Skell) getötet wurde. Curtins Modoc-Erzählung „Mink and Weasel“ verbindet die Erzählung von Minks (i.e. Gatschets Old Marten) und Weasels Sieg über die Thunders mit der Entstehung von Wizard Island. Nach ihrem Sieg über die Thunders treffen die zwei Brüder einen alten Mann, der sich als wütender Verwandter der Thunders vorstellt. Der monströse alte Mann fordert Mink heraus und droht ihm, ihn an seine in Crater Lake lebenden Kinder zu verfüttern. Doch ebenso wie in Applegates Fassung überwältigt Mink seinen Gegenspieler und verfüttert die Körperteile des alten Mannes an seine eigenen Kinder:

„Dann zerstückelte er den Körper und warf die Teile nacheinander in den See. Während er die Teile warf, rief er: ‚Hier ist Tskels [Minks] Schulter! Hier sind Tskels Rippen! Hier sind seine Beine! Hier sind seine Arme!‘ Kaum hatte er die Teile geworfen, hatten die Kinder des alten Mannes diese auch schon gefangen und verschlungen. Am Ende warf er den Kopf. Es war ein abscheulich aussehendes Ding, das wohl jeden in Schrecken versetzt hätte.“ (Curtin, 296)

Mit diesem Akt hat der Transformer und Schöpfer Marten/Mink sowohl die Thunders als auch den bösen Giganten besiegt.

Wie der polymorphe Korpus mündlicher Überlieferungen zeigt, verfügen die Stämme über ein kollektives Gedächtnis über Crater Lake als Ort gewaltiger geologischer Ereignisse. Das Alter dieser Ereignisse wurde bestätigt mittels moderner Geologie, die ihre eigene, und eher abweichende, ‚Lesart‘ des Ortes durchführte (siehe Williams, Harris). Andere Erzählungen des Gmukamps-Korpus beinhalten Beschreibungen eines Ozeans aus Pech, der die Welt bedeckte, und Erzählungen, die an vulkanische Ausbrüche zu erinnern scheinen (siehe Curtin und Gatschet). Die Ortserzählungen zeigen die Region also als eine vulkanische Landschaft, die von kulturellen Erinnerungen an Katastrophen der Vergangenheit durchdrungen ist. Zum Beispiel verweist das Ballspiel mit Skells Kopf auf einen bestimmten Ort am nördlichen Hang des Crater Lake, der noch immer als ‚ball court‘ (‚Ballplatz‘) oder als ‚ballfield‘ (‚Ballfeld‘) bekannt ist (Barker, 73; Deur, 62 ff.). Die Erzählungen können im Zusammenhang mit Ergebnissen archäologischer Forschung gelesen werden, die bestätigt, dass diese indigenen Erzählkulturen seit mehreren tausend Jahren in der von der Giiwas-Eruption betroffenen Gegend leben.[3]

Abb. 2: Wizard Island (Laos Kopf), hier vom westlichen Kraterrand des Crater Lake betrachtet. © Stefan Livo.

Ein transkulturell konstruiertes Wahrzeichen

Mit der Wiederentdeckung Crater Lakes durch Euro-Amerikaner in den 1850ern nahm das Interesse an Erzählungen über diesen besonderen Ort rapide zu. Bürger aus der Umgebung reisten hin, um seine Erhabenheit zu bewundern und veröffentlichten romantisierte Berichte ihrer Reisen in Zeitungen. Es dauerte nicht lange, bis sie nach Namen für den uralten Ort suchten. Vorschläge hierfür gingen von Chauncy Nyes „Blue Lake“ (‚Blauer See‘) im Jahr 1862 bis zu Captain F.B. Spragues‘ „Lake Majesty“ (‚Majestätischer See ‘) aus dem Jahr 1865, bevor der See letztlich durch Jim Sutton 1869 „Crater Lake“ (‚Kratersee‘) getauft wurde (NPS, „History“). Doch die Namensänderung von Giiwas war nur der Anfang einer weitaus größeren Transformation. Im Jahr 1870 hörte ein junger Mann namens William Gladstone Steel erstmals von diesem einzigarten Ort. Als er den See 1885 mit seinen eigenen Augen sah, war er so überwältigt, dass er es sich zum Ziel machte, den Ort in einen Nationalpark zu verwandeln. Die Heiligkeit von Giiwas war somit bestätigt, doch die Bedeutung des Ortes als heilige indianische Stätte wurde durch dessen Rolle als touristische Attraktion in der nicht-indianischen Kultur beschädigt.

Steel und seine Unterstützer wussten von den uralten Erzählungen lokaler Stämme, die diese mit dem Land und Giiwas verbanden und diese Verbindung konnte für Steels Versuch einer Vereinnahmung Crater Lakes als Nationalpark ein Problem darstellen. Steel verweist auf Erzählungen von Klamath-Stammesmitgliedern wie Häuptling Allen Davids „Legend of the Llaos“, erstmalig veröffentlicht in The Mountains of Oregon (1890). Im selben Band äußert sich Steel:

„Es gibt in ganz Amerika wohl keine Sehenswürdigkeit, die den gewöhnlichen Indianer so mit Furcht erfüllt wie Crater Lake. Seit undenklichen Zeiten war keine Kraft groß genug, ihn auch nur in dessen Sichtweite zu führen. Für eine klägliche Summe wird er sich bemüßigen, dich dorthin zu führen. Doch noch bevor du den Berggipfel erreichst, wird er verschwinden und dich allein weitergehen lassen.“ (Steel 1890, 15).

Interessanterweise wurde diese Fehlinterpretation der indianischen kulturellen Beziehung zu Crater Lake (seine Tabuisierung aus religiösen Gründen) zur selben Zeit popularisiert, in der auch Steels Vision eines Crater Lake Nationalparks langsam Gestalt annahm. Nur einige Jahre zuvor hatten andere Besucher den weitverbreiteten indianischen Brauch geschildert, Berge wie Crater Lake aufzusuchen, um ihrer toten Angehörigen zu gedenken und mit deren Geistern zu reden, und um „hohe Steinhaufen [zurückzulassen] um zu zeigen, wie treu sie ihre Schwüre erfüllt haben“ (New York Times 1873, 3). Die Tatsache, dass Mitglieder lokaler Stämme Crater Lake für spirituellen Rat aufsuchten, wurde von anthropologischen Studien belegt (z.B. Deur, Spier, Ray). Im Kontext ihrer spirituellen Aufgaben haben Stammesmitglieder Steintürme und Gebetssitze errichtet, und sie tun dies noch bis heute (Haynal). Doch Steel behauptete dreist, „vor 1886 hat kein moderner Indianer jemals auf Crater Lake geblickt“ (1907, 41) und wies Überlieferungen der Stämme als „Aberglaube“ zurück (1890, 12). Diese Argumentation ließ angenehmerweise den Schluss zu, dass es keineswegs ein ethisches Dilemma darstellen würde, Crater Lake in einen Nationalpark zu verwandeln, da die Klamath Tribes den See ohnehin nicht besuchten oder ‚nutzten‘. Zudem spricht diese Argumentation den Klamath Tribes jegliches tiefere Wissen über diesen besonderen Ort ab.

Steel, gebannt vom vulkanischen Wirken, beschrieb die Geschichte Crater Lakes unter Verwendung der Poetik des Erhabenen:

„Was für eine immense Angelegenheit muss es gewesen sein, vor vielen vielen Jahren, als, noch lange bevor der heiße Odem des Vulkans ihm den uralten Kopf verunstaltete, er als stolzer Regent, mit seinen Füßen auf der Erde und seinem Haupt im Himmel, weit weit über den Bergketten thronte, ja, weit herab auf die verschneiten Gipfel Hoods und Shastas blickte, und die Luft jenseits der Höhe des Mt. Everest schnupperte.“ (Steel 1890, 32)

Darstellungen wie diese mögen vielleicht Besucher zum See gelockt haben, doch sie zeigten auch, dass die meisten der frühen Rekonstruktionen des einstigen Berges pure Spekulation waren. 1883 waren Everett Hayden und Joseph S. Diller die ersten Geologen des US Geological Survey, die Giiwas besuchten. Drei Jahre später leitete der Geologe Clarence Dutton ein kleines Team, um eine Tiefenmessung des Sees vorzunehmen. Die erste ausführliche Studie wurde 1897 von Diller veröffentlicht. Dillers Bericht beschreibt nüchtern wie Mount Mazama während einer gewaltigen Eruption vor mehreren tausend Jahren zusammenstürzte. Spätere Veröffentlichungen wie Howell Williams‘ Crater Lake: The Story of Its Origin (1963; 1941 als populäre Kurzfassung) rekonstruieren den Ausbruch Mount Mazamas in einer Erzählung voll ausdrucksstarker Bildlichkeit und begleitet von den erhabenen Gemälden Paul Rockwoods, die Rockwood wiederum basierend auf Williams‘ Anleitungen angefertigt hatte. In den folgenden Dekaden führten zahllose Wissenschaftler Forschungen zu vulkanischen Ausbrüchen, den daraus resultierenden Gesteinsformationen und den Einflüssen auf die lokale Flora, Fauna und menschliche Population durch. Neben den Klamath-Erzählungen zu Crater Lake nahm ein bedeutendes wissenschaftliches (geologisches und archäologisches) Wissensarchiv über Giiwas Gestalt an.

Abb. 3: “Mount Mazama After the Cataclysmic Eruption” (1940) von Paul Rockwood.

 

Umkämpfter Ort und Heilige Stätte

Trotz Ihrer langen Präsenz im Südwesten Oregons waren die Ansprüche der indianischen Stämme auf ihr Land und Crater Lake seit der ‚Entdeckung‘ des Sees durch die Euro-Amerikaner in den 1850ern umkämpft. Sie profitierten jedoch auch von der Faszination der Siedler mit der außergewöhnlichen Landschaft um Crater Lake, denn durch seine Erklärung zum Nationalpark wurde der heilige Ort vor der Zerstörung bewahrt.

Doch die Tatsache dass Crater Lake eine Touristenattraktion wurde, beeinträchtigt dessen Nutzung als heilige Stätte. Der nun für die Öffentlichkeit zugängliche Giiwas wurde seit dem 20. Jahrhundert ein geschäftiger Ort. Steigende Zahlen an Touristen erklommen die Hänge des Kraters um das blaue Wasser des Sees zu bestaunen. Seit kurzem werden zudem Bootstouren auf dem See angeboten und Autos drängeln sich die Straße am Kraterrand entlang. Doch trotz dieser negativen Effekte auf die Heiligkeit des Ortes hat die Ernennung zum Nationalpark die Gegend vor der Entwicklung von Immobilien und Industrie bewahrt. Trotz der kolonialen Anfänge des Nationalparks praktiziert der National Park Service (NPS) einen respektvollen Umgang mit Crater Lake als einem Ort, der von verschiedenen Gruppen genossen und als heilig geachtet werden kann (NPS, „History“).

Dieses transkulturelle Vorhaben des Kombinierens indigener und westlicher Perspektiven und Wissensformen bezogen auf das Land ist ein wichtiger Aspekt unseres Projekts. Das Beispiel des Crater Lake illustriert die Vorteile gemeinsamer Bemühungen, einzigartige Orte zu bewahren, doch es zeigt auch die Konflikte auf, die hierbei entstehen können. In In the Footprints of Gmukamps (2008) analysiert der Anthropologe Douglas Deur die Beziehung der lokalen Stämme (z.B. Klamath, Modoc) zu Nationalparks wie Crater Lake oder den südlich davon gelegenen Lava Beds. In Interviews enthüllen Stammesmitglieder ihre starke Bindung zu heiligen Orten ihres Lands und ihre Furcht vor der Bedrohung dieses Landes durch kommerzielle Interessen. 1864, kurz nach der euro-amerikanischen „Entdeckung“ Crater Lakes, wurden die Stämme der Klamath, Modoc und Yahooskin in ein gemeinsames Reservat gezwungen. Als die Klamath 1954 per Gesetz ihren juristischen Status als Stamm verloren (Termination-Programm: eine Maßnahme zur Förderung der Assimilation in die amerikanische Mehrheitsgesellschaft), verloren sie ihr gesamtes Land. Dieser Verlust machte es für die Stämme schwierig, ihr traditionelles Wissen über das Land zu bewahren, da das Land „sie mit ihren Ahnen aus der fernen, präkolumbianischen Vergangenheit sowie mit den Vorfahren aus dem letzten Jahrhundert verband“ (Deur 2008, 34).

Trotz der Terminierungs- und Assimilationspolitik und der Aneignung indigenen Landes durch die Regierung haben die Klamath Tribes und ihr Wissen über Crater Lake überlebt. Ihre Anstrengungen wurden belohnt, als ihnen 1986 der Status als indianischer Stamm wieder anerkannt wurde. Jährliche Kulturcamps und andere Events am Crater Lake stellen die Verbindung des Stammes mit Giiwas wieder her und bewahren ihr Wissen über das Wahrzeichen. Indigenes Wissen über Crater Lake wurde auch von nicht-indianischen Autoren wie Gatschet, Curtin und Barker bewahrt, die den einzigartigen Wert dieser ‚landmark stories‘ erkannten. Veröffentlichungen wie Stanton C. Laphams The Enchanted Lake (1931), Ella E. ClarksIndian Legends of the Pacific Northwest (1953) und Stephen Harris’ Fire Mountains of the West (1988) betonen die Verbindung zwischen indigenem Wissen und geologischen Studien und stellen Crater Lake als einen umkämpften und transkulturell geteilten heiligen Ort dar, der Besuchern diverser kultureller Hintergründe Ehrfurcht abtrotzt – während er einzig für indigene Gruppen heilig ist, deren Wissen über diesen Ort bis in die ferne Vergangenheit zurückreicht.

Während Giiwas selbst heute von industriellen Bauvorhaben geschützt ist, gehen die Klamath und Modoc gegenwärtig gemeinsam mit nicht-indianischen Aktivisten gegen den Bau einer Langstrecken-Pipeline für hochflammbares Flüssiggas vor, die durch die vulkanische Region Crater Lakes führen soll. Sie wissen, was passieren kann, falls Gmukamps wieder wütend würde …

 

LITERATURNACHWEISE

[1] Alle Übersetzungen von SL.

[2] Gmukamps ist ein Trickster-Transformer und nimmt die Gestalt verschiedener Charaktere und Namen in den unterschiedlichen Erzählungen an (z.B. Marten, Mink, Skell, Chief of the Above World). Außerdem benutzten die Personen, die die Originaltexte aus der Sprache der Klamath/Modoc transkribierten, verschiedene Schreibweisen für dieselben Namen. Dies trifft auch auf andere Charaktere in den Erzählungen zu. Um Verwirrung zu vermeiden, wird dieser Artikel sich an jeweils nur eine Schreibweise halten und Überlappungen von Charakteren nur anzeigen, wo es notwendig ist.

[3] Archäologische Funde aus dem Gebiet datieren die indigene Besiedlung zurück auf mindestens 9.000 und, seit kurzem, auf bis zu 15.700 Jahre vor der Gegenwart (z.B. Cressman, Aikens et al.). Diese Funde (in Oregons Paisley Caves) stellen abermals die Idee von Clovis First (wonach die Clovis-Kultur vor höchstens 13.500 Jahren als erste Menschen auf dem Kontinent siedelten) infrage; sie verweisen auf die Möglichkeit einer früheren menschlichen Besiedlung Nordamerikas.   

 

ZITIERTE LITERATUR

Aikens, C. Melvin, Thomas J. Connolly, und Dennis L. Jenkins. Oregon Archaeology. Portland: Oregon State University Press, 2011.

Applegate, Oliver C. “The Klamath Legend of La-o.” Steel Points 1, 2 (1907) 75-76.

Barker, M. A. R. Klamath Texts. Berkeley and Los Angeles: University of California Press, 1963.

Clark, Ella E. Indian Legends of the Pacific Northwest. Berkeley: University of California Press, 1953.

Colvig, William M. “The Legend of Crater Lake.” Manuskript aus der Privatsammlung von Tim Colvig, Oakland, Datiert 1921. Wir bedanken uns bei Tim Colvig für dessen Erlaubnis, das Manuskript benutzen zu dürfen.

“Crater Lake. The Most Wonderful Body of Water in the World.” New York Time Juli 27, 1873, 3.

Cressman, Luther S. The Sandal and the Cave. 1981. 2nd ed. Corvallis: Oregon State University Press, 2005.

---.       Prehistory of the Far West. Salt Lake City: University of Utah Press, 1977.

Curtin, Jeremiah. Myths of the Modocs. Boston: Little, Brown, and Co., 1912.

Deur, Douglas. In the Footprints of Gmukamps. A Traditional Use Study of Crater Lake National Park and Lava Beds National Monument. National Park Service. Pacific West Region, 2008.

Diller, Joseph S. „Crater Lake, Oregon.“ The National Geographic Magazine 3, 2 (1897) 33-48.

Gatschet, Albert Samuel. The Klamath Indians of Southwestern Oregon. 2 Vols. Washington: Government Printing Office, 1890.

Harris, Stephen L. Fire Mountains of the West. The Cascade and Mono Lake Volcanoes. Missoula: Mountain Press Publishing Company, 1988.

Haynal, Patrick M. “The Influence of Sacred Rock Cairns and Prayer Seats on Modern Klamath and Modoc Religion and World View.” Journal of California and Great Basin Anthropology 22, 2 (2000). 170-185.

Juillerat, Lee. “Legendary Crater Lake. Tales of the Lakes’ Creation and Monsters that Dwell Within.” Klamath Life Juli/August (2015), 10-12.

Lapham, Stanton C. The Enchanted Lake. Mount Mazama and Crater Lake in Story, History, and Legend. Portland, OR: J.K. Gill Co., 1931.

National Park Service. “Crater Lake. History”. N.p., 2001. <https://www.nps.gov/crla/planyourvisit/upload/History-508.pdf> Zugriff am 15.11.2018.

Ray, Verne, F. Primitive Pragmatists: The Modoc Indians of Northern California. Seattle: University of Washington Press, 1963.

Spier, Leslie. Klamath Ethnography. Berkeley: University of California Press, 1930.

Steel, William Gladstone. The Mountains of Oregon. Portland: David Steel, 1890. 12-33.

---.       “Crater Lake.” Steel Points 1, 2 (1907).

Stern, Theodore. The Klamath Tribe. A People and their Reservation. Seattle: University of Washington Press, 1965.

Williams, Howell. Crater Lake. The Story of its Origin. Berkeley: University of California Press, 1941/1963.

 

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

Abbildung 1: Rockwood, Paul. “Mount Mazama Erupting.” 1940. Gemälde. Crater Lake National Park Museum and Archives Collections. Crater Lake.

Abbildung 2: Livo, Stefan. “Wizard Island.” 2016. JPEG.

Abbildung 3: Rockwood, Paul. “Mount Mazama After the Cataclysmic Eruption” 1940. Gemälde. Crater Lake National Park Museum and Archives Collections. Crater Lake.