Nationalparks und die amerikanische Frühzeit

von Alexander Bräuer, 05.03.2016.

Zusammenfassung

Was haben Nationalparks und Vorstellungen über die amerikanische Frühzeit miteinander zu tun? Dieser Artikel zeichnet die Geschichte der Nationalparks im Hinblick auf die Konstruktion einer amerikanischen prähistorischen Vergangenheit nach. Dabei haben sich von der Etablierung des ersten Nationalparks bis zur heutigen massentouristischen Nutzung eines ganzen Systems von Parks wesentliche Änderungen ergeben. Zusätzlich eröffnet die episodenhafte Annäherung an die Geschichte der Nationalparks unter anderem auch den Blick auf die zunehmenden institutionellen Einflüsse auf die Konstruktionen von amerikanischer Frühgeschichte.

Abbildung 1: Symbole des National Park Service vor und nach 1952. Die Umstellung des Logos begleitete eine Neuausrichtung des NPS auf den Massentourismus in den Nationalparks der USA.

Der National Park Service (NPS) feiert sein 100-jähriges Jubiläum im August dieses Jahres. Eine Kernaufgabe dieser Institution in den letzten hundert Jahren war die Schaffung und Verwaltung von Räumen für die Konstruktion einer amerikanischen geologischen Frühgeschichte, den Nationalparks. Dabei hat sich die Art, wie eine amerikanische „deep past“ (tiefe Vergangenheit) in den Parks konstruiert wurde, grundlegend verändert. Der NPS kann dabei als ein Beispiel für den zunehmenden institutionellen Einfluss auf Konstruktionen der amerikanischen Frühzeit gewertet werden.

 

Eine Institutionsgeschichte

Bevor wir einen Blick auf die historische Entwicklung der Nationalparks und des NPS werfen, müssen zwei grundlegende Fragen beantwortet werden: Was ist eine Institution wie der NPS und warum sind Institutionen wichtig für die Konstruktion einer amerikanischen Frühzeit? Institutionen zeichnen sich durch wiederholende und vorhersehbare Verhaltensmuster aus, die in eine Struktur oder Ordnung – oft hierarchisch – integriert sind. Zeitgenössische Ideen von Institutionen sind stark vom Aufstieg des Nationalstaats im 19. Jahrhundert und dessen Gebrauch von Institutionen als Werkzeuge der Modernisierung geprägt. Regierungsorganisationen sind zum Inbegriff von Institutionen geworden, obwohl sich in den letzten Jahrzehnten und im Zuge der Globalisierung immer mehr Institutionen gebildet haben, die sich nicht ausschließlich auf den Nationalstaat stützen. Gute Argumente lassen sich auch für eine Perspektive finden, die internationale Großkonzerne als Institutionen betrachtet. Über die letzten 200 Jahre hatten Institutionen einen großen Einfluss auf die Entstehung von Wissen über die Vergangenheit. Schulen, Universitäten und Museen sind nur einige offensichtliche Beispiele wie Institutionen historisches Wissen gesammelt, verarbeitet, übertragen, und vermittelt haben. Dabei hatten die meisten Institutionen gerade im 19. Und frühen 20. Jahrhundert aufgrund ihrer Herkunft ein hohes Interesse daran, sich auf historische Informationen über die Geschichte von Nationalstaaten zu konzentrieren.

 

Der Yellowstone National Park

Abbildung 2: Poster des Yellowstone-Nationalparks von 1904. Der Yellowstone-Nationalpark war der erste Nationalpark der USA und lieferte das Vorbild für die Etablierung weiterer Nationalparks ab 1890.

Die Gründung des Yellowstone-Nationalparks im Jahr 1872 legte den Grundstein für die Etablierung weiterer Nationalparks bis zur Schaffung des NPS 1916. Eine Forschungsexpedition unter Ferdinand Hayden hatte die Gegend des zukünftigen Yellowstone-Nationalparks 1871 erkundet und vermessen. Anschließend warben die Mitglieder der Expedition intensiv in ihren Berichten und mit ihren Fotographien und Karten für die Gründung eines Schutzgebiets aufgrund der natürlichen und geologischen Besonderheiten. Die darauffolgende Etablierung des Nationalparks diente als Modell für weitere Parks in den nächsten Jahrzehnten. Dabei stellte die Unterstützung von einflussreichen Personen mit Verbindungen in die Politik oder Wirtschaft ein entscheidendes Kriterium für den Erfolg solcher Projekte dar. Ideen über die Kulturen der amerikanischen Frühzeit spielten in dieser ersten Phase der Nationalparkgründungen keine Rolle. Nationalparks wurden aufgrund ihrer Landschaft, natürlichen Besonderheiten, der Fauna oder geologischer Formationen ausgewählt. In gewisser Weise spiegelten diese Kriterien zeitgenössische Ideen über die amerikanische Geschichte, welche die präkolumbianische Zeit als kulturlos und natürlich ansah. Die Bewahrung der Natur, der Wildtiere und der ‚unberührten‘ Landschaft war das Ziel einer einflussreichen Bewegung rund um berühmte Persönlichkeiten wie John Muir, dem Gründer des Sierra Club. Das Militär und ausgewählte Beamte des Innenministeriums waren für die Verwaltung der Nationalparks zuständig. Eine eigene Institution war nicht notwendig, weil Verwaltung und Erhaltung die einzigen Ziele darstellten und mit wenig Personalaufwand erreicht werden konnten. In den folgenden 40 Jahren wurden nur wenige Nationalparks gegründet, die zum Teil auch vom Militär als Übungsgebiete benutzt wurden. Bis heute sind die Ingenieure der US Armee direkt an Bauprojekten in Nationalparks beteiligt und die militärische Tradition spiegelt sich auf verschiedenen Ebenen der Nationalparksverwaltung wider.

 

Der Antiquities Act von 1906

Abbildung 3: Karte der prähistorischen Ruinen in einem Bericht von Edgar L. Hewett. Eine Verortung der schützenswerten Ruinen war von besonderer Bedeutung für die Errichtung von Schutzzonen und Nationalparks.

Auf eine bereits damals etablierte Art warb Edgar Lee Hewett, ein Archäologe in New Mexico, für die Etablierung von einer Reihe von Nationalparks auf öffentlichem Land (weitere Informationen zum Antiquities Act). Ein Bericht von Hewett forderte 1904 nicht nur neue Nationalparks von bisher ungekannter Größe, sondern rückte auch ein neues Argument für deren Gründung in den Vordergrund: der Schutz des Erbes und der Ruinen der Ureinwohner von Nordamerika. Hewett machte geltend, dass jede Felsenwohnung, jeder prähistorische Turm, Gemeindehaus, Kultstätte und Grabhügel ein Objekt sei, welches einen Beitrag zur Weiterentwicklung des Wissens darstelle und damit schützenswert sei.[1] Sein Argument wurde im Hinblick auf den aufkommenden Handel mit Antiquitäten, insbesondere mit indianischer Tonware aus den Ruinen, sowie auf das angenommene baldige Verschwinden der zeitgenössischen Indianer, mit einer gewissen Dringlichkeit vorgebracht. 1906 wurde mit Mesa Verde der erste Nationalpark gegründet, der sich vor allen Dingen dem Schutz des Erbes der Indianer, konkret etwa 4,000 archäologische Fundstätten aus der Pueblo-Kultur in Colorado, verschrieben hatte. Des Weiteren wurden aufgrund des neugeschaffenen Antiquities Act mehrere andere Gebiete als National Monument oder National Forest unter Schutz gestellt.

Abbildung 4: Foto des Spruce Tree Haus im Mesa Verde-Nationalpark. Der Mesa Verde-Nationalpark wurde als einziger Nationalpark ausschließlich zum Schutz von prähistorischen Ruinen gegründet.

Die Gründung des NPS

Der Antiquities Act von 1906 führte 10 Jahre später zur Gründung des NPS. Die größere Dimension des Nationalparksystems und die neuen Aufgaben des NPS wurden im National Park Service Organic Act von 1916 ausgeführt: „dessen Aufgabe ist die Bewahrung der Landschaft und der natürlichen und geschichtlichen Objekte sowie der Wildtiere darin, um so zukünftigen Generationen den uneingeschränkten „Genuß zu ermöglichen“.[2] Dieser Act führte zur Etablierung des National Park Service, welcher die Verwaltung der Nationalparks vom Kriegsministerium, dem Landwirtschaftsministerium und dem Innenministerium übernahm. Die Unterstützung bei der wissenschaftlichen Erforschung der Ruinen und der Natur war genauso eine Schlüsselfunktion des NPS wie die touristische Erschließung der Parks. Dabei propagierte der NPS eine Vorstellung von amerikanischer Frühzeit, in der Natur, Landschaft und Ruinen kaum noch zu unterscheiden waren. Unter Präsident Franklin D. Roosevelt erlebte der NPS 1933 eine weitere Rekonsolidierung, als die Verwaltung von historischen Stätten des amerikanischen Bürgerkriegs vom Kriegsministerium, sowie einige National Monuments vom Landwirtschaftsministerium, vom NPS übernommen wurden. Das Nationalparksystem wurde zusätzlich bald durch weitere Parks an der amerikanischen Westküste, in Alaska und in den östlichen Bundesstaaten erweitert.

 

Massentourismus und die Mission 66

Diese geographische Verschiebung war von großer Bedeutung, weil sich Nationalparks immer mehr zu beliebten Urlaubszielen entwickelten. Der Tourismus wurde von einer Begeisterung für Outdoor-Aktivitäten, neugewonnener Freizeit, und durch die Automobilisierung der Gesellschaft angetrieben. Nationalparks, die nun in der Nähe der Bevölkerungszentren der amerikanischen Küste lagen, wurden von diesen Entwicklungen zunehmend geprägt. Dabei stand nicht nur der Erholungswert im Mittelpunkt, sondern auch die Vermittlung von Wissen über die Natur und Geschichte der Nation. Die Museen in den urbanen Zentren stellten Auszüge aus dem archäologischen Fundus der Nationalparks aus und köderten so Touristen, die anschließend die Parks besuchen konnten, um die Fundorte in ihrer vollen Schönheit zu erleben. Mission 66, ein 1952 initiiertes Programm des NPS für das 50-jährige Jubiläum der Institution in 1966, verdeutlichte die Entwicklung zum Massentourismus durch die Erweiterung und Modernisierung von Parkeinrichtungen. Verwaltung, Straßen, Übernachtungsmöglichkeiten, Sicherheit, Parkplätze und die Unterbringung der Angestellten wurden verbessert und erweitert. Neue Besucherzentren führten die Touristen nun sicher und gut informiert durch die Natur und Geschichte der Nationalparks.

Abbildung 5: Cedar Pass Visitor Center im Badlands Nationalpark. Der Ausbau der Infrastruktur und die Installation von Besucherzentren war eines der Hauptziele der Mission 66. Damit sollten Nationalparks auf die steigende Anzahl der Touristen vorbereitet werden und zunehmend eine Bildungsfunktion übernehmen.

Gleichzeitig gewann das Interpretationsangebot mit Museen, Lehrpfaden, Informationstafeln, und geführten Touren an Bedeutung. Obwohl der Schwerpunkt immer noch auf dem Erholungswert und dem Erlebnis der Landschaft und Natur lag, wurde die amerikanische Antike und das Erbe der amerikanischen Ureinwohner zu einem festen Bestandteil der typischen Besucherinformationen – meistens zwischen der Erläuterung der geologischen Entstehung und der europäischen ‚Entdeckung‘. Dies galt auch für Nationalparks, die ursprünglich aufgrund ihrer natürlichen und geologischen Besonderheiten gegründet worden waren.

 

Der NPS heute

Heutzutage gelten Nationalparks und ihre Verwaltung als eine der größten Errungenschaften der USA, die von verschiedene andere Staaten übernommen wurde. Park Rangers, als Verkörperung der Nationalparks, sind ikonische Figuren geworden, die als Allrounder mit Umweltbewusstsein gelten. Generationen von Amerikanern haben Nationalparks als positive Orte der Erholung, der Freizeit, von Sportaktivitäten und Geschichte erlebt. Allerdings haben jüngste Berichte[3] einige Probleme des NPS aufgezeigt. So ist zum Beispiel die historische Forschung oft auf das Gebiet des Nationalparks begrenzt und erzeugt somit eine amerikanische Antike die vom Alltagsleben der Touristen abgeschottet ist. Diese Konstruktion wird durch den Urlaubscharakter von Besuchen in Nationalparks weiter verstärkt. Es bleibt abzuwarten, ob der NPS die Botschaft vermitteln kann, dass das Erbe der Ureinwohner Nordamerikas auch ein Teil der Geschichte der USA außerhalb der Nationalparks – auch in den Bevölkerungszentren die die meisten Touristen ihr Zuhause nennen – darstellt. Hinzu kommt, dass der NPS unter ähnlichen Problemen (wie z. B. Unterfinanzierung) leidet wie eine ganze Reihe anderer öffentlicher Institutionen. Außerdem wird es für den NPS immer wichtiger werden die Idee einer unberührten Natur zu dekonstruieren. Die Landschaft und Natur der Nationalparks wurde über Jahrtausende von den amerikanischen Ureinwohnern geprägt und verändert, um ein langfristiges Überleben indigener Kulturen sicherzustellen. Indianer kreierten erst die Landschaft, die europäische Forscher, Entdecker und Siedler anschließend als ‘unberührt‘ bezeichneten. Der NPS spielt heute eine ähnliche Rolle indem er durch Konservierungsmaßnahmen, die Wiedereinführung von Pflanzen und Tieren, Feuermanagement oder die Konstruktion einer Infrastruktur, die Landschaft der Nationalparks prägt.

 

LITERATURNACHWEISE

[1] “Every cliff dwelling, every prehistoric tower, communal house, shrine and burial mound is an object which can contribute something to the advancement of knowledge, and hence is worthy of preservation.“ Hewett, Edgar L. Historic and Prehistoric Ruins of the Southwest and their Preservation. Washington: Govt. Print. Off., 1904, S. 3.

[2] “which purpose is to conserve the scenery and the natural and historic objects and the wild life therein and to provide for the enjoyment of the same in such manner and by such means as will leave them unimpaired for the enjoyment of future generations.” http://www.nps.gov/grba/learn/management/organic-act-of-1916.htm; Zugriff am 03.03.2016.

[3] siehe z. B.: “Imperiled Promise: The State of History in the National Park Service” von der Organization of American Historians. www.oah.org/programs/the-oah-national-park-service-collaboration/imperiled-promise-the-state-of-history-in-the-national-park-service/

 

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

Abbildung 1: Quelle: http://www.nps.gov/parkhistory/online_books/workman1b/volf.htm; Zugriff am 03.03.2016.

Abbildung 2: Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Yellowstone_National_Park_by_Wellge,_1904.jpg; Zugriff am 16.04.2016.

Abbildung 3: Quelle: Hewett, Edgar L. Historic and Prehistoric Ruins of the Southwest and their Preservation. Washington: Govt. Print. Off., 1904.

Abbildung 4: Quelle: Hewett, Edgar L. Historic and Prehistoric Ruins of the Southwest and their Preservation. Washington: Govt. Print. Off., 1904.

Abbildung 5: Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:DETAIL_OF_DISPLAY_IN_EXHIBIT_ROOM._-_Cedar_Pass_Visitor_Center,_P.O._Box_6,_Highway_240,_Interior,_Jackson_County,_SD_HABS_SD-23-22.tif; Zugriff am 16.04.2016.