Tanmahawis/The Bridge of the Gods

von Stefan Krause, 06.11.2017.

Zusammenfassung

Lange bevor Menschen die ersten Brücken über den Columbia River bauten, überspannte eine natürliche Brücke das Gewässer. Lokale indianische Stämme wie die Klickitat, Wasco, Wishram, Yakama und Colville erinnern sich, wie einst ein Kampf zwischen donnernden Bergen eine Felskonstruktion hervorbrachte, die den Fluss aufstaute und den Menschen erlaubte, den Fluss trockenen Fußes zu überqueren – ‚The Bridge of the Gods‘ (“Die Brücke der Götter“). Ungefähr 300 Jahre später, im 18. Jahrhundert, stürzte die Brücke in sich zusammen und ließ reißende Stromschnellen zurück – die Cascade Rapids. Doch wie sah diese legendäre Brücke aus? Was erzählt diese ‚landmark story‘ (Ortssage) über die Entstehung und Zerstörung der Bridge of the Gods?

Die Bridge of the Gods in indigenen Überlieferungen

Die Klickitat, Wasco, Wishram und andere Stämme lebten entlang des Columbia River lange vor dem Zusammenbruch der Bridge of the Gods. Die geologische Formation erhielt ihren englischen Namen später mit Verweis auf die mündlichen Traditionen dieser Stämme, die schildern, wie der Große Geist (Great Spirit) die Felsformation schuf und die von der großen spirituellen Bedeutung des Ortes zeugen. Einige der mündlichen Überlieferungen wurden von Pionieren, Folkloristen und Anthropologen aufgezeichnet. Trotz einiger Unterschiede teilen diese Texte viele Gemeinsamkeiten. Sie beschreiben meist den Kampf benachbarter Berge (Mt. Hood, Mt. St. Helens und Mt. Adams), durch den die Brücke letztlich zerstört wird. Ella E. Clarks Essay “The Bridge of the Gods in Fact and Fancy” bietet einen umfassenden Überblick über die verschiedenen indianischen Erzählungen (z.B. von den Stämmen der Yakama und Colville). Im Gegensatz zu geologischen Studien, die sich auf die Ereignisse rund um die Entstehung der Felsbrücke konzentrieren, berichten viele aufgezeichnete indianische Überlieferungen von deren Entstehung und Zusammensturz.

Abb. 1: Wandmalerei zur ‚Bridge of the Gods’ am Brückenpfeiler der Brücke mit demselben Namen. Die Malerei fertigte Künstler Larry Kangas aus Oregon an. Sie vereint indigene Überlieferungen über die Brücke mit Darstellungen der Besiedlung der Gegend durch Euro-Amerikaner. © Stefan Krause

Historiker William D. Lyman zufolge, zeichnete der Geologe George Gibbs wahrscheinlich als erster eine indigene Überlieferung über die Bridge of the Gods auf. Gibbs gelangte an den Text, als er sich 1853 während seiner Arbeit für die Pazifische Eisenbahn mit Mitgliedern eines lokalen Stammes unterhielt. Lyman zitiert Gibbs in seinem Essay „Indian Myths of the Northwest“ (1915).

"Die Indianer erzählen eine charakteristische Geschichte, laut welcher Mt. Hood und Mt. St. Helens Mann und Frau waren; dass sie schließlich stritten und einander mit Feuer bewarfen, und dass St. Helens als Siegerin hervorging; seitdem fürchtete sich Mt. Hood, während St. Helens, mit tapferem Herzen, weiter brannte. In einigen Versionen wird diese Erzählung mit dem Erdrutsch, der die Cascades [Cascade Rapids] des Columbia formte, in Verbindung gebracht."[1] (386)

Eine der berühmtesten Versionen wurde von Clarence O. Bunnell aufgezeichnet, der die Erzählung als kleiner Junge gehört hatte. Sein Buch beinhaltet einen Zyklus von Texten, in denen die mythische Figur des Coyote das Land umformt und in denen ein großes Inlandmeer die Gegend östlich der Cascade Range bedeckt. Als „Squaw Mountain“ in ein Tal zwischen die Berge Yi-East (Mt. Hood) und Pa-toe (Mt. Adams) zieht, beginnen Yi-East und Pa-toe einen lauten Kampf um die Gunst von „Squaw Mountain.“

"Während ihres Kampfes erschütterten die Berge die Erde so entsetzlich, dass ein Loch in die Gebirgshänge zwischen Pa-toe und Yi-East gerissen wurde. Durch dieses drangen die Wasser des Inlandmeeres in wütender Eile, um dem Zorn der kämpfenden Berge zu entkommen. Sie trugen mehr und mehr Erde und Gestein mit sich fort, bis sich ein großer Tunnel unter der Gebirgskette geformt hatte, der eine wundervolle natürliche Brücke zurückließ, unter der ein friedlicher wenngleich besorgter Fluss strömte." (17/18)

„Squaw Mountain“ versteckt sich, doch als sie zu ihrem geliebten Yi-East zurückkehrt, setzt sich der Kampf fort und die Brücke einschließlich ihrer Wächterin – der alten und treuen Frau Loo-wit – gehen unter. Letztlich kehrt Loo-wit, in einen wunderschönen Berg (Mt. Saint Helens) verwandelt, zurück und Coyote räumt das Geröll der einstigen Brücke aus dem Flussbett.

Viehzüchter, Grenzer und Amateurhistoriker Lucullus V. McWhorter schrieb eine abweichende Version nieder, die er von der Wasco-Frau An-a-whoa gehört hatte. In dem Text errichtet der Donnervogel (Thunderbird/No-we-na-kláh) fünf Berge („fünf Gesetze“) um die Menschen von ihrer Reise westwärts zum Sonnenuntergang abzuhalten. Coyote fordert den Donnervogel heraus und ein tobender Kampf entbrennt, bis Coyote schließlich siegt.

"Noh-we-nah-kláh fuhr entsetzt immer tiefer ins Wasser! Coyote, über ihm und unsichtbar, erzeugte nun ein lauteres Geräusch denn je zuvor; ein Krachen wie das Zerbersten dieser Welt. Die fünf Gesetze, die fünf Berge, bröckelten und fielen. Deren Überreste flossen den nChe-wana [Columbia River] herab und bildeten viele Inseln entlang des Flussverlaufs. Der gigantische Körper des Noh-we-nah-kláh formte die große Brücke über den wana bei den Cascade Rapids. Diese Brücke ging aus dem ersten Berg hervor und bestand hauptsächlich aus Stein. Sie stand viele Hunderte von Wintern – niemand weiß, wie lange – und dann fiel sie." (6)

Abb. 2: Kohlestiftzeichnung von Jimmie James auf einer Postkarte mit dem Titel The Legendary “Bridge of the Gods.” Die natürliche Brücke in dem Bild ähnelt anderen Formationen wie denen im berühmten amerikanischen Natural Bridges National Monument in Utah.

 

Eine geologische Formation und die Rekonstruktion ihrer Geschichten

Als die ersten weißen Entdecker und Siedler die Region erkundeten, gab es die Bridge of the Gods schon nicht mehr. Am 30. und 31. Oktober 1805 passierten die amerikanischen Entdecker Lewis und Clark den Ort und stießen auf mehrere bis in den Fluss verlaufende Baumstümpfe. Anstelle einer natürlichen Brücke fanden sie Felsbrocken und wilde Stromschnellen (die Cascade Rapids) vor. Auf ihrer Rückreise gen Osten spekulierte Lewis, dass „die Engstelle bei den Stromschnellen von Felsen zugeschüttet wurde, die von den Hügeln innerhalb der letzten 20 Jahre ins Flussbett gerutscht sind“ (The Journals of the Lewis and Clark Expedition, April 14, 1806). In den darauffolgenden Jahren haben mehrere Reisende, Siedler und Missionare den Ort beschrieben. Jim E. O’Connor gibt einen ausführlichen Überblick über die Vielzahl dieser Berichte in seinem Essay “The Evolving Landscape of the Columbia River Gorge – Lewis and Clark and Cataclysms on the Columbia” (2004).

All diese Reisenden sahen sich mit derselben Frage konfrontiert: welches Ereignis hatte die Landschaft derart umgeformt? Neuere geologische Studien führen die Entstehung der Bridge of the Gods auf einen Erdrutsch in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts zurück (z.B. Randall, Reynolds et al.). Die ‚Brücke‘ überspannte den Columbia River für ungefähr 300 Jahre, bis sie dann wahrscheinlich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in sich zusammenfiel. Ella E. Clark verweist auf Berichte von Old Henry, einem Mitglied eines lokalen indianischen Stammes, der den Zusammenfall der Brücke anhand von mündlichen Überlieferungen auf eine Zeit zwischen 1750-1760 datierte (38).

Die Rekonstruktionen der einstigen Felsformation unterscheiden sich jedoch erheblich und bleiben meist vage. Geologische Berichte nennen nur wenige Details bezüglich der Gestalt der Brücke und wie diese das Leben der lokalen Bevölkerung beeinflusst haben mag. Der Geologe Patrick Pringle beschreibt die Brücke schlicht als einen „Haufen felsigen Erdrutschgerölls, der es den Menschen gestattete von der einen Seite des Flusses zur anderen zu gelangen“ (2). Die Klickitat und andere indianische Stämme erinnern sich anhand mündlicher Traditionen allerdings an bestimmte andere Aspekte der Brücke. Beispielsweise illustrieren ihre Erzählungen, dass die einstige geologische Formation mehr einem Tunnel oder einer Untergrundpassage als einer Brücke glich. Bunnell führt aus, wie Koyoda (Coyote) und eine Gruppe von Männern die Reise durch den dunklen Tunnel unter der Brücke wagen und erwähnt, dass „beginnend bei der Einfahrt in den Tunnel ihnen ein starker Zug frischen Windes ins Gesicht wehte“ und dass die „meisten Indianer von der Dunkelheit in diesem Tunnel berichten“ (25). Reisende im 19. Jahrhundert, wie Gustavus Hines, bestätigten weiterhin, dass die lokalen Stämme „eine Überlieferung haben, der zufolge, vor langer Zeit, der Berg über dem Fluss verbunden war und der Fluss ein gutes Stück lang durch einen unterirdischen Durchgang verlief“ (155). McWhorters Aufzeichnungen gehen auf Berichte der Klickitat ein, wonach bei der Durchfahrt durch den dunklen Tunnel lediglich die Ruderer im Kanu verblieben (8). Die Ruderer verabschiedeten sich jedes Mal von ihren Gefährten, denn einer Prophezeiung zufolge würde die Felsformation eines Tages zusammenfallen. All diese Informationen belegen die tiefe Kenntnis, die die Stämme von ihrem Land und dessen Vergangenheit haben und zeugen von der langen Geschichte ihrer Besiedlung des Columbia River Valley.

Abb. 3: Thomas Coles Evening in Arcady (1843), Öl auf Leinwand. Das Gemälde ist typisch für die Hudson River School und stellt eine romantische Landschaft dar, in der einige wenige Menschen friedlich im Einklang mit der Natur leben. Die natürliche Brücke thront über den Menschen und überspannt einen ruhigen Fluss.

Die Vielzahl populärer Darstellungen der Brücke ignorieren jedoch Details aus den mündlichen Überlieferungen der Klickitat und anderer indianischer Stämme. Wandmalereien wie das oben abgebildete Beispiel und Zeichnungen wie Jimmie James‘ The Legendary “Bridge of the Gods” zeigen die Brücke als kolossalen Felsbogen, der von Landmarken wie dem Natural Bridges National Monument in Utah oder romantischen Landschaftsmalereien wie Thomas Coles Evening in Arcady (1843) inspiriert zu sein scheint. Diese visuellen Rekonstruktionen der natürlichen Brücke betonen die Erhabenheit der Landschaft des amerikanischen (Nord)-Westens und vernachlässigen dabei den indigenen Ursprung der Bridge of the Gods sowie seine Bedeutung als Ortssage und spiritueller Ort im traditionellen Land der Klickitat, Wasco, Wishram und anderer Stämme. Die Gewaltigkeit der klaffenden Felsbögen in diesen Bildern lässt zudem die Frage offen, wie diese Brücke den Fluss zu einem See oder gar Inlandmeer aufgestaut haben soll. Offensichtlich wurden die Künstler von anderen Darstellungen natürlicher Brücken inspiriert, was letztlich zu visuellen Fehlübersetzungen führte.

Die Geschichte der ‚Bridge of the Gods‘ inspirierte auch fiktionale Werke wie etwa Frederic H. Balchs Bridge of the Gods: A Romance of Indian Oregon (1890) und Gedichte wie Samuel A. Clarkes “Legend of the Cascades” (1874). Während Balch mündliche Traditionen indianischer Stämme in seinen romantischen Text einwebt, kleidet Clarke diverse indigene Überlieferungen in Vers. Beide Ansätze verändern die indigenen Texte, machen sie allerdings auch zugänglicher für eine breite Leserschaft. Die Bridge of the Gods hat sich so zu einer ‚landmark story‘ (Ortssage) gewandelt, die transkulturell zwischen indigenem Gedächtnis, geologischer Forschung und amerikanischer Wild-West-Romantik vermittelt wird. Sie belegt auch, dass die präkolumbianische Vergangenheit Amerikas am besten mittels eines transkulturellen und polyvokalen Ansatzes rekonstruiert wird, der westliche Wissenschaft mit indigenem Wissen verknüpft.

 

Literaturnachweise

[1] Alle Übersetzungen von SK.

 

Zitierte Literatur

Balch, Frederic H. Balch’s Bridge of the Gods: A Romance of Indian Oregon. Chicago: A.C. McClurg and Company, 1890.

Bunnell, Clarence Orvel. Legends of the Klickitats. A Klickitat Version of the Story of the Bridge of the Gods. Portland, OR: Metropolitan Press, 1933.

Clark, Ella E. “The Bridge of the Gods in Fact and Fancy.” Oregon Historical Quarterly 53.1 (1952), 29-38.

Clarke, Samuel A. “Legend of the Cascades.” Harper’s New Monthly Magazine 48, 285 (1874), 313-319.

Hines, Gustavus. A Voyage round the World with a History of the Oregon Mission. Buffalo: George H. Derby and Co., 1850.

Lyman, William D. “Indian Myths of the Northwest.” Proceedings of the American Antiquarian Society. Vol. XXV (1915) 375-395.

McWhorter, Lucullus V. Papers, 1848-1945. Cage 55. Manuscripts, Archives, and Special Collections, Washington State University Libraries, Pullman, WA. Box 44, Folder 429. Finished Stories. 1911-1924. "Bridge of the Gods." Wasco. Narrated by An-a- whoa*: "black-bear," Sept. 1914. Notes, McW.

O'Connor, Jim E. “The Evolving Landscape of the Columbia River Gorge-Lewis and Clark and Cataclysms on the Columbia.” Oregon Historical Quarterly 105.3 (2004): 390- 421.

Pringle, Patrick T. "The Bonneville Slide". Columbia Gorge Interpretive Center Museum Explorations, Fall-Winter (2009): 2-3.

Reynolds, Nathaniel D. et al. “Age of the Bonneville Landslide and the Drowned Forest of the Columbia River, Washington, USA—From Wiggle-Match Radiocarbon Dating and Tree-Ring Analyses.” 10th Washington Hydrogeology Symposium. Hotel Murano, Tacoma, Washington. April 14-16, 2015.

Randall, Robert J. Characterization of the Red Bluff Landslide, Greater Cascade Landslide Complex, Columbia River Gorge, Washington. Diss. Portland State University, 2012.

The Journals of the Lewis and Clark Expedition. 2005. U of Nebraska Press / U of Nebraska- Lincoln Libraries-Electronic Text Center. 5 Oct. 2005 . Zugriff 22. November 2017.

 

Weiterführende Literatur

Aguilar Sr., George W. “The Bridge of the Gods.” In When the River Ran Wild! Indian Traditions on the Mid-Columbia and the Warm Springs Reservation. Portland, OR: Oregon Historical Society, 2005. 235.

Atwell, Jim. Tahmahnaw. The Bridge of the Gods. Skamania, WA: Tahlkie Books, 1973.

Clark, Ella E. Indian Legends of the Pacific Northwest. Berkeley: University of California Press, 1953.

Condon, Thomas. The Two Islands and What Came of Them. Portland, OR: J. K. Gill Company, 1902. Chapter 12.

Judson, Katharine B. Myths and Legends of the Pacific Northwest. 1910. Lincoln: University of Nebraska Press, 1997.

 

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Krause, Stefan. “The present-day ‘Bridge of the Gods’ showing a mural of the former natural bridge bearing the same name.” 15. Juli 2016. JPEG. © Stefan Krause

Abbildung 2: James, Jimmie. The Legendary “Bridge of the Gods”. 1963, charcoal, Northwest Art Mall, Inc., Gresham, OR, 2009.

Abbildung 3: Cole, Thomas. Evening in Arcady. 1843, oil on canvas, Wadsworth Atheneum, Hartford, CT. WikiArt.org - Visual Art Encyclopedia. Public Domain. https://www.wikiart.org/en/an-evening-in-arcadia-1843. Zugriff 22. November 2017.