Der Antiquities Act von 1906

von Alexander Bräuer, 06.03.2016.

Zusammenfassung

Oberstes Ziel des Antiquities Act von 1906 war es, die Plünderungen indianischer Ruinen im Südwesten der USA durch Grabräuber, Schatzsucher und Glücksritter zu beenden. Zu diesem Zweck wurden weitläufige Schutzzonen, im Fall von Mesa Verde sogar ein Nationalpark, eingerichtet, um den historischen Wert dieser Orte zu schützen. Der Einführung des Antiquities Act ging voraus, dass der kulturelle Wert der indianischen Ruinen erst einmal in der amerikanischen Öffentlichkeit und Politik anerkannt werden musste. Dies war keinesfalls selbstverständlich, da die amerikanischen Ureinwohner meistens als kultur- und geschichtslos angesehen wurden. Ein Bericht aus dem Jahr 1904 von Edgar L. Hewett, einem Archäologen aus New Mexico, spielte hierbei eine wichtige Rolle. Dieser Artikel versucht die Frage zu beantworten, wie es Hewett schaffte, den Wert der indianischen Ruinen einer amerikanischen Öffentlichkeit und Politik näherzubringen. Hieran schließt sich die Frage an, welche Vorstellungen einer amerikanischen Antike hierbei zu Tage traten.

Anfang des 20. Jahrhunderts setzte sich Edgar. L. Hewett, ein amerikanischer Anthropologe und Archäologe, verstärkt für die Etablierung von Schutzzonen gegen die Plünderung von auf Regierungsland liegenden indianischen antiken Tonwaren ein. 1906 reagierte der Kongress auf seine Bemühungen mit der Verabschiedung des Antiquities Act. Der Act erlaubte es dem Präsidenten „historische Landmarken, historische und prähistorische Bauwerke und andere Objekte von historischem und wissenschaftlichem Interesse“ (“… historic landmarks, historic and prehistoric structures, and other objects of historic or scientific interest“[1]) zu National Monuments zu erklären, insofern sich die besagten Objekte auf Land befanden, das unter der Kontrolle oder im Besitz der Regierung war. Dies gab Theodore Roosevelt die Möglichkeit im Südwesten der USA, wo weite Landstriche der neuen Territorien Regierungsland waren, zahlreiche Orte zu National Monuments zu deklarieren. Darüber hinaus stellte der Act eine politische Machtverschiebung dar, weil der Präsident nun ohne Absprache mit anderen politischen Instanzen Schutzzonen schaffen konnte. Nationalparks mussten hingegen erst durch einen Beschluss des Kongresses legitimiert werden. Im folgenden Artikel soll die Entstehung des Acts in den Vordergrund gerückt werden, indem ein genauerer Blick auf einen einflussreichen Bericht von Edgar L. Hewett, den Circular relating to Historic and Prehistoric Ruins of the Southwest and their Preservation, geworfen wird. In diesem Bericht, der die Entstehung des Acts initiierte und wesentlich mitbestimmte, spielten Ideen einer amerikanischen Frühzeit für die Argumentation eine entscheidende Rolle und führten somit letztendlich auch zur Entstehung des Acts.

Abbildung 1: Edgar L. Hewett, ein in New Mexico lebender Archäologe und Lobbyist für den Antiquities Act.

Nachdem Edgar L. Hewett in den 1890er Jahren von Colorado nach New Mexico migriert war, entdeckte er schnell seine Faszination für die dortigen Hinterlassenschaften der amerikanischen Ureinwohner. Allerdings wurden seine Pläne zur Gründung eines Nationalparks, der die Ruinen auf dem Pajarito Plateau schützen sollte, von den lokalen Ranchern verhindert. Hewett sammelte in seinem Berufsleben vielfache Erfahrungen, die ihm bei der Durchsetzung seiner Interessen dienlich sein sollten. So arbeitete er zunächst als Präsident der Normal School in New Mexico und lernte als Teil dieses Berufs schnell die Bedeutung politischer Beziehungen zu schätzen. Nach seinem Rücktritt von diesem Amt legte er seinen Doktor in Anthropologie ab und intensivierte seine Lobbyarbeit für den Schutz der Ruinen. 1902 diente er dem Kongressabgeordneten John F. Lacey aus Iowa, der Informationen zum Handel mit indianischen Tonwaren sammelte, als Führer zu den Ruinen. Zwei Jahre zuvor war Hewett nach Washington gereist, um seine Verbindungen mit der einflussreichen Anthropologin Alice Cunningham Fletcher auszubauen. Mit der Unterstützung seiner politischen Kontakte startete er einen erneuten Versuch Schutzzonen für die Ruinen zu etablieren und sandte einen Bericht über “Prehistoric Ruins of the Southwest and their Preservation” an das General Land Office. In den folgenden Jahren stellte sich dieser Bericht als entscheidend für die Verabschiedung des Antiquities Act von 1906 heraus. Da Argumentation und Schlüsselforderungen Hewetts Bericht entnommen und in den Act transferiert wurden, soll sein Bericht in den folgenden Abschnitten einer genaueren Analyse unterzogen werden.

Abbildung 2: Titelblatt des einflussreichen Berichts von Edgar L. Hewett, der die Einführung von Schutzzonen für die Ruinen und kulturellen Relikte der amerikanischen Ureinwohner fordert.

Der Wert indianischer Ruinen

Erste und wichtigste Aufgabe des Berichts war es, eine Verbindung zwischen der Geschichte der Indianer und den gegenwärtigen USA zu etablieren. Politikern und Öffentlichkeit musste verdeutlicht werden, warum die Ruinen der Ureinwohner schützenswert waren. Dementsprechend proklamierte Hewett bereits auf der ersten Seite seines Berichts, dass der Wert der Ruinen allerseits bekannt sei und stetig ansteige, da dieser „riesige Schatz an Informationen“ („vast treasury of information“) gerade aufgrund der Plünderungen am Verschwinden sei.[2] Die Konstruktion einer amerikanischen ‚Antike‘ – also die Verbindung zwischen präkolumbianischer indianischer Geschichte und der Gegenwart der USA – war auch deswegen von besonderer Bedeutung, weil der Wert der entsprechenden Gegenden als Schutzzone größer sein musste als der Profit aus einer anderweitigen ökonomischen Nutzung des Landes. Hewett hatte diese Lektion bei seinen früheren Auseinandersetzungen mit den Ranchern in New Mexico gelernt. Aus diesem Grund verdeutlicht sein Bericht immer wieder drei Punkte: den hohen Wert der Schutzzonen für das historische Wissen, den niedrigen Wert der Gegenden für anderweitige Formen der ökonomischen Nutzung, und dass die vorgeschlagenen Schutzzonen nur die Ruinen und unmittelbar angrenzendes Land umfassen sollten.[3]

 

Der wissenschaftliche Wert

Hewetts Einschätzung, dass die indianischen Ruinen „riesige Schätze an Informationen“ darstellten, verlangten nach einer weiteren Erläuterung. In einem späteren Abschnitt führt Hewett aus, dass jede einzelne Ruine einen Beitrag zum Fortschritt leisten könne und deswegen schützenswert sei.[4] Der Wert der Ruine wurde also nicht materiell hergestellt, sondern durch die Informationen, die Ruinen enthielten. Insofern konnten die Ruinen mit einer entsprechenden wissenschaftlichen Herangehensweise entschlüsselt, interpretiert und dem amerikanischen Volk nahegebracht werden. Diese sollte am besten in einem kontrollierten Umfeld wie einer Schule oder Museen durchgeführt werden. Die Schutzzonen böten, so Hewett, die besten Voraussetzungen für die Entschlüsselung der Ruinen, die durch intensive Feldforschung und mit modernen archäologischen Methoden – zum Beispiel mit der Fotographie – geschehen sollte.[5] Weil am Anfang des 20. Jahrhunderts die entlegenen Gegenden der Ruinen für die amerikanische Bevölkerung weitgehend unerreichbar waren, gewann der Prozess der Entschlüsselung und Vermittlung von Wissen durch die Wissenschaft an Bedeutung. Öffentlicher Zugang zu den Ruinen für die amerikanische Bevölkerung und Reisende aus dem Ausland – und der dadurch generierte Profit – blieb ein Projekt für zukünftige Generationen.[6] Mit seinen Ideen stieß Hewett auf fruchtbaren Boden in der amerikanischen Öffentlichkeit, die sich immer mehr für indianische Ruinen begeistern konnte.

 

Der Wert der Schönheit

Ein weiteres Element der Argumentation von Hewett war der ästhetische Wert der Ruinen. Ihre Schönheit trug wesentlich zum Wert der Ruinen bei, konnte aber nur durch den direkten Besuch der Ruinen erfahren werden.[7] Dieses Element („enjoyment“; „scenic beauty“) gewinnt dann an Bedeutung, wenn Hewett konkret über die Gründung eines Nationalparks auf dem Pajarito Plateau spricht.[8] Die Schönheit von Landschaft, geologischen Formationen, oder natürlichen Besonderheiten war zu diesem Zeitpunkt bereits ein etabliertes Kriterium für die Gründung von Nationalparks und Hewett wollte Ruinen in diesem Kontext etablieren. Wie zu erwarten war, gewann diese Argumentation in Hewetts Report vor allem dann an Bedeutung, wenn er über seine persönliche Faszination für die Ruinen sprach. Wie bereits im Fall seiner Betonung der historischen Bedeutung der Ruinen für das kulturelle Selbstverständnis der USA appellierte Hewett auch hier indirekt an einen ‚romantischen‘ Konsens unter den Entscheidungsträgern, dass die Ruinen aufgrund ihrer ästhetischen Erhabenheit zu bewahren seien – jenseits von Fragen materieller Interessen.

 

Eine Notsituation

Ein letzter Punkt in Hewetts Argumentation war von entscheidender Bedeutung für sein Projekt: die politische Realisierung. Ein Schutz der vorgeschlagenen Regionen war gesetzlich bereits vor der Etablierung des Antiquities Act möglich. Allerdings war die Gründung von Nationalparks ein komplizierter, mühseliger, zeitaufwendiger und sehr schwieriger Prozess. Für die große Anzahl von Gebieten, die Hewett schützen wollte, kam dieser Weg deswegen nicht in Frage. Daher musste ein neuer Mechanismus her, der den langen Weg über den Kongress abkürzen konnte und einer einfacher zu beeinflussenden Institution die Entscheidungsmacht gab. Hewett fand diese Institution im Präsidenten der Vereinigten Staaten, Theodore Roosevelt, einem glühenden Unterstützer von Outdoor-Aktivitäten und Nationalparks.

Der politikerfahrene Hewett räumte diesem Punkt bei der Anfertigung seines Berichts viel Raum ein. Um sein Ziel zu erreichen, stellte Hewett die Lage und seine Kampagne als Reaktion auf einen Notfall dar, der sofortigen Handlungsbedarf erforderte. Dies war für Hewett der Handel mit indianischer Tonware. Wie Hewett zu Beginn seines Berichts erklärte, seien zunehmend indianische Tonwaren aus den Ruinen entwendet und dabei wertvolle Informationen zerstört worden. Dadurch würden einige Privatpersonen sich illegal auf Regierungskosten bereichern.[9] Im Hauptteil seines Berichts, einer Erläuterung der verschiedenen Gegenden, die geschützt werden sollen, beginnt jede Beschreibung einer Schutzzone mit dem alarmierenden Stand des lokalen Handels mit indianischen Tonwaren. So war es wahrscheinlich einer von Hewetts wichtigsten Erfolge, dass der Staat, wie eine Antwort von W. A. Richards vom General Land Office zeigt, diese Dringlichkeit erkannte und für umgehende Maßnahmen plädierte.[10] Jedoch verfolgte Hewett nicht das Ziel die Ruinen per se zu konservieren. Vielmehr ging es ihm um eine fachgerechte Entnahme der indianischen Tonkunst durch vom Staat lizenzierte Wissenschaftler, die als einzige das Fachwissen besäßen, um den Wert dieser Artefakte erkennen zu können.[11] Nach der Entschlüsselung der Informationen der Artefakte, so Hewett, könnten die entsprechenden Gegenden auch wieder ihren Status als Schutzgebiete verlieren.[12] Mit seinem Report erreichte Hewett letztendlich seine beiden wichtigsten Ziele: die Vermittlung von Dringlichkeit bzw. einer Notsituation, die unmittelbaren Handlungsbedarf mit sich brachte, und die daraus resultierende Einführung eines kurzen und einfachen politischen Weges der Implementierung von Schutzzonen durch den Präsidenten der USA selbst.

Ironischerweise wurden zeitgenössische Indianer im Bericht aufgrund der Beteiligung einzelner Indianer im Handel mit Tonwaren als Teil des Problems dargestellt. Außerdem lagen einige indianische Siedlungen in unmittelbarer Nähe der Ruinen und gefährdeten diese nach Ansicht Hewetts durch ihre bloße Anwesenheit.[13] Weil nur noch ausgewählte Wissenschaftler die Schutzzonen betreten sollten, hätten Indianer laut Bericht – außer vielleicht als billige Arbeitskräfte bei den Ausgrabungen – am besten keinen direkten Zugriff mehr auf die Ruinen.[14] Der Antiquities Act von 1906 war also letztendlich konzipiert um die Ruinen der amerikanischen Ureinwohner in eine Meistererzählung der amerikanischen Geschichte zu integrieren, ohne gleichzeitig die Nachfahren dieser Kulturen als Teil der amerikanischen Gegenwart zu akzeptieren.

 

LITERATURNACHWEISE

[1] www.nps.gov/history/local-law/anti1906.htm, Zugriff am 03.03.2016.

[2] Edgar L. Hewett, Historic and Prehistoric Ruins of the Southwest and their Preservation. Washington: Govt. Print. Off., 1904, S. 4.

[3] Ibid, S. 12.

[4] Ibid, S. 3.

[5] Ibid, S. 7.

[6] Ibid, S. 4 & 7.

[7] Ibid, S. 4.

[8] Ibid, S. 6.

[9] Ibid, S. 2.

[10] Ibid, S. 13.

[11] Ibid, S. 4.

[12] Ibid, S. 13.

[13] Ibid, S. 9.

[14] Ibid, S. 15.

 

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

Abbildung 1: Quelle: en.wikipedia.org/wiki/Edgar_Lee_Hewett; Zugriff am 03.03.2016.

Abbildung 2: Quelle: Edgar L. Hewett, Historic and Prehistoric Ruins of the Southwest and their Preservation. Washington: Govt. Print. Off., 1904.

Abbildung 3: Quelle: de.wikipedia.org/wiki/Devils_Tower_National_Monument, Zugriff am 03.03.2016.

Abbildung 4: Quelle: commons.wikimedia.org/wiki/Category:El_Morro_National_Monument, Zugriff am 29.03.2017.

Abbildung 5: Quelle: commons.wikimedia.org/wiki/Category:Montezuma_Castle_National_Monument, Zugriff am 29.03.2017.

Abbildung 6: Quelle: en.wikipedia.org/wiki/Tonto_National_Monument, Zugriff am 29.03.2017.

Abbildung 7: Quelle: commons.wikimedia.org/wiki/Category:Gila_Cliff_Dwellings_National_Monument, Zugriff am 29.03.2017.