John Lloyd Stephens

von Gesa Mackenthun, 21.03.2016.

Zusammenfassung

John Lloyd Stephens war ein Anwalt aus New York, der zur Therapie einer Lungeninfektion auf Reisen ging und zu einem der faszinierendsten amerikanischen Reiseschriftsteller avancierte. Während eines Aufenthaltes in London schloss er sich mit dem britischen Maler Fredrick Catherwood zusammen und suchte mit diesem in den 1830ern und 1840ern in Mittelamerika nach Abenteuern und Ruinen alter Mayastädte. Stephens‘ Reiseberichte und Catherwoods Lithografien zählen zu den wertvollsten Dokumenten der frühen amerikanischen Archäologie. Allerdings ging Stephens‘ wissenschaftliche Arbeit Hand in Hand mit seinen von der amerikanischen Expansionspolitik motivierten Interessen. Fast hätte er es geschafft ganze Ruinenstädte zu kaufen. Monumente und Artefakte aus diesen Städten brachte er tatsächlich vor die amerikanische Öffentlichkeit. Stephens‘ archäologische Beutejagd muss man dabei im Kontext der Zeit einer wachsenden Unterhaltungsindustrie sehen, als wetteifernde westliche Nationen ihre Museen mit wertvollen Artefakten aus fernen Ländern bestückten. Dies waren die zarten Anfänge der modernen Weltkulturerbe-Industrie.

Abbildung 1: Portrait von John Lloyd Stephens, 1805-52.
Abbildung 2: Stele in Copan, Honduras. Lithographie von Frederick Catherwoord.

Im Jahre 1840 reisten der amerikanische Entdecker John Lloyd Stephens (Abbildung 1) und sein britischer Begleiter, der Maler Frederick Catherwood, durch Mittelamerika auf der Suche nach verborgenen Ruinen der Maya. Nachdem sie die Ruinen der antiken Stadt Copán im heutigen Honduras gefunden hatten, begann Stephens mit einem neuen Gedanken zu spielen: „Copán zu kaufen!“

Viele Wochen lang ließen die beiden Abenteurer mithilfe von lokalen Arbeitern die uralten Ruinen von Büschen und Bäumen befreien, um so den Fundort genau zu vermessen und die Gebäude und Ornamente in Bildern zu dokumentieren. Stephens hatte nun einen Punkt erreicht, an dem ihn ein penibles wissenschaftliches Erfassen von Daten nicht mehr ausreichte. Er träumte davon, die Monumente in Güter und Spekulationsobjekte umzuwandeln: „Geht in Deckung, ihr Spekulanten in Nobelvierteln!“ (I: 115) Seine Idee war es, „die Monumente eines längst verschwundenen Volkes aus der trostlosen Gegend, in der sie begraben waren, zu entnehmen, sie in einem ‚großen kommerziellen Emporium ‘ aufzubauen, und eine Institution als Zentrum eines nationalen Museums amerikanischer Antiquitäten zu gründen!“ (I: 115) Stephens bot dem Besitzer des Landes, auf dem sich Copán befand, 50 US-Dollar an, und da er auch als offizieller diplomatischer Vertreter der Vereinigten Staaten reiste, stellte er seine offiziellen Dokumente und seinen Diplomatenmantel mit den Adlerknöpfen zur Schau, um die lokalen Dorfbewohner zu beeindrucken – diese mussten wohl geglaubt haben, dass es hier um einen offiziellen diplomatischen Akt ging (I: 127). Sobald der Kauf besiegelt war, machten sich Stephens und Catherwood an das Dokumentieren von Copáns Monumenten – vor allem Grundrisse und verzierte Stelen. In seinen Aufzeichnungen träumt Stephens davon, durch den Besitz der Monumente aus Copán mit den imperialen Museen Europas in Konkurrenz zu treten: „Die Skulpturen des Parthenons,“ schreibt er, „werden als kostbare Denkmäler im Britischen Museum angesehen und die Objekte aus Copán wären dasselbe für New York.“ Schließlich, so fasst er zusammen, „gehören diese rechtmäßig uns“ (I: 115). Er bekräftigt diesen Besitzanspruch am Ende seines zweiten Bandes, als er die Nationen der alten Welt mahnt, „die Rechte von Nationen und ihrer Entdeckungen zu respektieren und das Gebiet amerikanischer Altertümer uns zu überlassen; […] und nicht einem mittellosen Land seiner einzigen Chance zu rauben, einen Beitrag zur Wissenschaft zu leisten, sondern es vielmehr in seinem Versuch zu bekräftigen, viele abgelegene und nahezu unerreichbare Ort zusammen zu bringen und auf seinem eigenen Boden die architektonischen Überreste seiner ursprünglichen Bewohner zu verwahren“ (II: 474).

 

Archäologie und Politik

Stephens schrieb seinen Reisebericht während des Höhepunktes der amerikanischen Erschließung des Westens; in dem Jahrzehnt bevor er sich nach Mittelamerika begab, hatte die amerikanische Regierung ihre berüchtigte Deportation der indianischen Bevölkerung (Indian Removal) von deren Heimatgebieten östlich des Mississippi in das Indianer-Territorium im heutigen Oklahoma durchgeführt. Die massenhafte Umsiedlung erreichte ihren Höhepunkt mit dem ‚Pfad der Tränen‘ (Trail of Tears) im Jahr 1838, bei dem tausende von Menschen starben. Das Zusammentreffen dieser Ereignisse mit Stephens‘ archäologischer Mission, in Verbindung mit der Nutzung seiner politischen Funktion um Ruinen zu kaufen, deutet auf eine ideologische Verbindung zwischen archäologischem Fortschritt in Gebieten südlich der Vereinigten Staaten und den militärischen Fortschritten in der Eroberung des Kontinents hin. Die kontinentale Perspektive wird sichtbar in Stephens‘ weitgefasster Verwendung von Possessivpronomen im oben genannten Zitat. Die indigene Bevölkerung Mittelamerikas war lediglich in Stephens‘ eigener Konstruktion prähistorischer Migrationen ein Teil der Vereinigten Staaten und „seiner ursprünglichen Bewohner“. Wie viele seiner Zeitgenossen vermutete auch Stephens, dass die uransässige Bevölkerung stetig durch die Hemisphäre von Nord nach Süd migriert war. (Doch man möchte sagen, dass solch ein Narrativ kaum Ansprüche auf Gebiete und Artefakte außerhalb US-amerikanischer Grenzen rechtfertigt.) Nur acht Jahre nach den Ereignissen in Copán fiel die U.S.-Armee tatsächlich in Mexiko-Stadt ein; der Mexikanisch-Amerikanische Krieg, der als Reaktion auf die amerikanische Annektierung von Texas im Jahr 1845 folgte, endete damit, dass Mexiko große Teile an die siegreichen U.S.A. abtreten musste (einschließlich des heutigen Kaliforniens).

Abbildung 3: Gesamtansicht von Palenque. Der hinzugefügte Vulkan im Hintergrund weist auf die Möglichkeit der Entdeckung von weiteren, größeren Pyramiden hin. Lithographie von Frederick Catherwood.

Obwohl John Lloyd Stephens‘ Reiseberichte zu Recht für ihre literarischen Qualitäten gelobt wurde und Catherwoods Zeichnungen aufgrund ihrer Präzision einen wichtigen Beitrag zu der Entzifferung der Maya-Schrift im 20. Jahrhundert lieferten, wurde das archäologische Unterfangen in dem Territorium der Maya eindeutig als Teil eines größeren kulturellen Besitzergreifens nach dem Vorbild des europäischen Imperialismus eingeschätzt. Tripp Evans beschrieb Stephens‘ Vorhaben als archäologische Monroe-Doktrin und fußte diese Beschreibung auf Stephens‘ starken kontinentalen Fokus wie auch auf seiner Betonung, dass antike amerikanische Kulturen sich in vollständiger Isolation von den Kulturen der europäischen Antike entwickelt hätten (Evans 55-58).

Abbildung 4: Entferung einer Stele. Stephens (in der blauen Jacke) beaufsichtigt den Abtransport einer Stele in Kabah, Yucatán. Lithographie von Frederick Catherwood.

Ein Abenteurer mit vielen Fähigkeiten

Stephens triumphierte in seinem Vorhaben, Artefakte nach New York zu transportieren (Abbildung 4), wenngleich leider der Großteil von ihnen einem Brand zum Opfer fiel. Obwohl Stephens kein ausgebildeter Archäologe war (diese Wissenschaft steckte in den 1840ern noch in ihren Kinderschuhen), hinterließen Stephens und Catherwood der Nachwelt doch eine wichtige und nicht zu unterschätzende Beschreibung des Zustands prä-kolumbianischer Monumente in Mexiko, Mittelamerika und Yucatán. Aus Stephens‘ „Museum amerikanischer Antiquitäten“ wurde die Smithsonian Institution, die 1846 gegründet wurde. Die Reiseberichte und Illustrationen der zwei Abenteurer sind Meisterwerke der romantischen Reiseliteratur und visuellen Ästhetik und werden bis heute gedruckt und verkauft.    

Neben seinen Fertigkeiten als Amateurwissenschaftler und Autor legte Stephens auch eine Begabung als Ingenieur an den Tag. So beabsichtigte er, einen Kanal durch Nicaragua zu bauen (ziemlich genau entlang der Route, die zur Zeit chinesische Investoren für ihren für die Umwelt katastrophalen Nicaragua-Kanal in Betracht ziehen). Als er feststellte, dass die technischen Möglichkeiten seiner Zeit dies nicht zuließen, entwarf er eine Eisenbahnstrecke durch Panama, die vor Stephens‘ Tod 1852 teilweise fertiggestellt wurde.   

Einer der ersten Deutschen, der diese Route auf dem Weg zum Goldrausch in Kalifornien befuhr, war Heinrich Schliemann, der nach Sacramento reiste, um das Erbe seines verstorbenen Bruders in Empfang zu nehmen. Der Autor von Stephens‘ Biografie, Victor Wolfgang von Hagen, schrieb, dass das Treffen zwischen Stephens und dem „kleinen, nervösen, deutschen Händler“ eine seltsame Begegnung gewesen sein muss. Nach seiner Rückkehr nach Europa nutzte Schliemann das Geld aus Kalifornien sowie seine Einnahmen aus Finanzspekulationen des auf Sklaverei basierenden Atlantikhandels der 1850er und 1860er um seine späteren archäologischen Grabungen auf der Suche nach Troja und König Priamos‘ Schatz zu finanzieren.   

Von Hagens Version eines Treffens der beiden ist Fantasie. Die zwei Amateurarchäologen haben sich nie getroffen. Ein einstündiges Treffen zwischen Stephens und dem in die Jahre gekommenen Alexander von Humboldt fand 1847 aber tatsächlich statt. Der Kosmopolit Humboldt und der Imperialist Stephens hatten scheinbar ein nettes Gespräch in Humboldts Residenz in Potsdam und diskutierten über Archäologie, technischen Fortschritt und Militärtaktiken (Mackenthun, „Imperial Archaeology“).

 

LITERATURNACHWEISE

[1] Alle Übersetzungen SK.

 

QUELLEN

Evans, R. Tripp. Romancing the Maya: Mexican Antiquity in the American Imagination 1820-1915, Austin: University of Texas Press, 2004.

Mackenthun, Gesa. “Imperial Archaeology: The American Isthmus as Contested Scientific Contact Zone.” Surveying  the American Tropics. Literary Geographies from New York to Rio. Ed. Maria Cristina Fumagalli, Peter Hulme, Owen Robinson, Lesley Wylie. Liverpool University Press, 2013. 101-130.

Stephens, John Lloyd. Incidents of Travel in Central America, Chiapas and Yucatan. [1841], 2 vols., New York: Dover, 1969.

Von Hagen, Victor Wolfgang. Maya Explorer. John Lloyd Stephens and the Lost Cities of Central America and Yucatán. Norman: University of Oklahoma Press, 1947.

 

WEITERFÜHRENDE LITERATUR

Glassman, Steve. On the Trail of the Maya Explorer, Tuscaloosa: University of Alabama Press, 2003.

Harvey, Bruce A. American Geographics: US National Narratives and the Representation of the Non-European World, 1830-1865, Stanford: Stanford University Press, 2001

Mackenthun, Gesa. “The Conquest of Antiquity: The Travelling Empire of John Lloyd Stephens.” American Travel and Empire. Ed.Susan Castillo and David Seed. Liverpool: Liverpool University Press, 2009. 99-128.

 

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

Abbildung 1: John Lloyd Stephens, 1805-52. Quelle: Victor Wolfgang von Hagen, Maya Explorer. John Lloyd Stephens and the Lost Cities of Central America and Yucatán. Norman: University of Oklahoma Press, 1947 (aus Harper’s Monthly Magazine, Januar 1859).

Abbildung 2: Quelle: Fabio Bourbon, The Lost Cities of the Mayas. The life, art, and discoveries of Frederick Catherwood. New York/London: Abbeville Press, 2000. 

Abbildung 3: Quelle: Fabio Bourbon, The Lost Cities of the Mayas. The life, art, and discoveries of Frederick Catherwood. New York/London: Abbeville Press, 2000.

Abbildung 4: Quelle: Fabio Bourbon, The Lost Cities of the Mayas. The life, art, and discoveries of Frederick Catherwood. New York/London: Abbev.