Sue: Ein Fossil zwischen Knochen und Land

von Alexander Bräuer, 12.03.2016.

Zusammenfassung

60 Millionen Jahre lang schlummerte der T-Rex „Sue“ im Präriesand von South Dakota. Dann änderte sich seine Geschichte schlagartig. Als Susan Sue Hendrickson 1990 den Tyrannosaurus rex entdeckte, entfaltete sich eine heftige Auseinandersetzung um den Besitz des Fossils. Der Rechtsstreit und dessen mediale Repräsentation stehen im Mittelpunkt dieses Artikels. Dabei war die entscheidende Frage ‚Wem gehört das Skelett?‘ eng mit der Frage von Land(besitz) verbunden. Die Auseinandersetzung hatte somit eine starke koloniale und politische Dimension. Das Skelett wurde auf dem Land von Maurice Williams gefunden, einem Mitglied der Lakota-Indianer, die immer mehr rechtliche Souveränität über ihr eigenes Land anstreben und ihre Ansprüche auf das Fossil als Artefakt geltend machen wollten. Des Weiteren waren ein privates Unternehmen, das sich auf die Ausgrabung und Präparation von Fossilien spezialisiert hatte, die Regierung und weitere Parteien in diesen Konflikt involviert. 1992 beschlagnahmte das FBI das Fossil in einer großangelegten Aktion mithilfe der Nationalgarde. Im folgenden Artikel wird ein genauerer Blick darauf geworfen, warum die involvierten Parteien mit allen Mitteln um ein seit über 60 Millionen Jahren totes Tier kämpften.

Abbildung 1: Karikatur der Auseinandersetzung um Sue aus einer lokalen Zeitung. Black Hill Institute oben links; Indianer oben rechts; die Regierung in Form von Uncle Sam unten links; und die South Dakota School of Mines and Technology (TECH) unten rechts.

Im Jahr 1990 entdeckte Susan “Sue” Hendrickson, eine Mitarbeiterin des Black Hill Institute, ein Fossil in der Cheyenne River Indian Reservation im Westen von South Dakota. Die Knochen befanden sich auf dem Land von Maurice Williams, einem Mitglied des lokalen Lakota-Stammes. Das Black Hill Institute unter der Leitung von Peter Larson bezahlte 5,000 US-Dollar für das Fossil an Maurice Williams und grub einen Tyrannosaurus rex aus, der in Erinnerung an seine Entdeckerin unter dem Namen „Sue“ berühmt werden sollte. Die Größe des Fossils und sein Zustand (85 % der Knochen sind erhalten geblieben und wurden gefunden) stellten einen einmaligen Fund dar und machten Sue zu einem wertvollen Objekt auf dem Fossilienmarkt. 7 Jahre später, 1997, erzielte Sue 8.36 Millionen Dollar bei einer Auktion bei Sotheby’s. Dieser Artikel wird sich auf die juristische Auseinandersetzung und die mediale Darstellung rund um die Frage der Eigentumsrechte am Fossil zwischen der Ausgrabung in 1990 und der Auktion 1997 beschäftigen. Mehrere Parteien, wie das Black Hill Institute, die Bundesregierung, die Lakota-Stämme und der Landbesitzer Maurice Williams waren Teil der Auseinandersetzung. Dabei spielten sich zum Teil spektakuläre Szenen ab, wie zum Beispiel die Razzia und Beschlagnahmung der Knochen durch das FBI mithilfe der Nationalgarde beim Black Hill Institute. Nationale und lokale Medien begleiteten den Prozess aufmerksam und eine öffentliche Debatte um den rechtmäßigen Besitzer des Skeletts begleitete die juristischen Auseinandersetzungen.

 

Die Parteien

In die juristischen Auseinandersetzungen waren 5 Parteien verwickelt. Entdeckt und ausgegraben wurde das Fossil vom Black Hill Institute (1), welches 1974 in Hill City, South Dakota, gegründet worden war und als privates Unternehmen auf die Ausgrabung und Präparation von Fossilien spezialisiert war. Der Gründer des Instituts, Peter Larson, ein bekannter Paläontologe, musste im Laufe seiner Karriere einige Kritik für das Geschäftsmodell einstecken, das auf den Verkauf von Fossilien ausgerichtet ist. Das Institut soll vom Landbesitzer Maurice Williams (2) eine Erlaubnis für die Ausgrabung bekommen haben. Als ein Mitglied der Lakota-Indianer besaß Williams Land im Cheyenne Indian Reservat, dem viertgrößten Reservat in den USA. Der Lakota-Stamm (3) besitzt weitestgehend Souveränität über die Reservation und war in der Auseinandersetzung daran interessiert, die indigenen Rechte auf das Land und die dort gefundenen Fossilien zu etablieren. Die amerikanische Regierung (4) hingegen versuchte ihre eigenen Anrechte auf das Land aufrecht zu erhalten und gleichzeitig sicher zu stellen, dass das Fossil für die Öffentlichkeit und die Wissenschaft zugänglich bleibt. Daneben spielte die South Dakota School of Mines and Technology (5) eine kleinere Rolle als wissenschaftliche Institution mit staatlicher Unterstützung. Die Universität diente als Lagerort des Fossils nach der Beschlagnahmung durch das FBI und wurde dementsprechend als Verbündeter der Regierung wahrgenommen.

Abbildung 2: Fundorte von Tyrannosaurus rex-Skeletten in Nordamerika. Der Fundort von Sue ist rot eingekreist.

Die Chronik

Die Farm von Maurice Williams liegt auf Land, das von der Regierung der Vereinigten Staaten treuhänderisch – und ‚zum Vorteil‘ von Williams – verwaltet wird. Dieses Rechtskonstrukt geht auf den General Allotment (Dawes) Act von 1887 zurück, der das Land der Indianerstämme in kleine Parzellen aufteilte und an die einzelnen Mitglieder der Stämme verteilte. Nach der Entdeckung und Ausgrabung des Fossils stellte das Black Hill Institute einen Scheck von 5,000 US Dollar für Williams aus –  angeblich für die Rechte an dem Fossil. Maurice Williams legte später überzeugende Argumente vor, dass die Summe nur für die Rechte an der Ausgrabung und nicht für das Fossil selbst bezahlt wurde. Weder eine Bundesbehörde noch die Stammesverwaltung wurden über die Vereinbarung informiert. Die Knochen wurden in das Black Hill Institute in Hill City gebracht, um dort restauriert zu werden. Das FBI beschlagnahmte das Fossil dort im Mai 1992 auf der Grundlage des Antiquities Act von 1906, der die Entwendung von historischen Objekten von Regierungsland untersagte. In den folgenden Jahren verklagte das Black Hill Institute den Staat auf die Herausgabe des Fossils. Das Institut konnte erfolgreich argumentieren, dass der Antiquities Act nur menschliche Artefakte einschließt und keine Fossilien. Allerdings wurden die Klagen nun aufgrund einer anderen Argumentation zurückgewiesen. Das Bezirksgericht entschied, dass das Fossil zwar kein Artefakt darstellte und damit nicht vom Antiquities Act abgedeckt wurde, es sich bei dem Fossil aber physikalisch und chemisch um ein Stück Land handeln würde. Weil das Fossil laut der Gesetzgebung von South Dakota Land darstellte, hätte das Innenministerium –  welches das Land treuhänderisch für den Landbesitzer verwaltet – dem Verkauf des Landes zustimmen müssen. Dies war nicht geschehen. 1993 wurden die Ansprüche des Black Hill Institute zurückgewiesen und der Supreme Court entschied 1994, dass bei unveränderter Sachlage keine weiteren Klagen zugelassen werden würden.

Bemerkenswert in den verschiedenen Verhandlungen vor Gericht sind zwei Aspekte. Erstens gelang es der Regierung ihren Anspruch auf die treuhänderische Verwaltung des Landes der Indianer durchzusetzen. Dadurch wurde die Selbstverwaltung, die die Regierung der Vereinigten Staaten den Indianern in den letzten Jahrzehnten zunehmend zugestanden hatte, ad absurdum geführt. Zweitens wurde eine Definition von Land von den eigentlichen und rechtmäßigen Landbesitzern, den Indianern, nie berücksichtigt.[1] Stattdessen galt die Definition des Staates von South Dakota, der Land als die Gesamtheit des festen Materials in der Erde – unabhängig von der Zusammensetzung der Erde – definierte. Dass Dinosaurier einst lebendige Tiere waren und als Teil der Vergangenheit und Gegenwart einen festen Platz in der Kultur der Indianer einnahmen, wurde ignoriert.

 

Die Medien

Größere Gerichtsverfahren werden immer auch von öffentlichen Diskussionen begleitet, die Einfluss auf eine Entscheidung nehmen können. Selbst nach einer Entscheidung wird das Urteil in den Medien interpretiert, erläutert und diskutiert und stellt damit noch nicht das Ende der Konflikts dar. Im folgenden Abschnitt wird dieser Artikel einen Blick auf zwei ausgewählte Aspekte der medialen Repräsentation des Konflikts um Sue werfen: die Berichterstattung in lokalen Zeitungen in South Dakota während der Auseinandersetzung und eine Dokumentation über Sue aus dem Jahr 2014.

Der Konflikt um Sue wurde insbesondere zwischen 1992 und 1994, als die juristische Entscheidung noch offen war, eng von den lokalen Zeitungen in South Dakota begleitet. Dabei stechen einige Darstellungen heraus. Zum Beispiel wird Maurice Williams oft als Farmer dargestellt, der mit der 5,000 Dollar Bezahlung einen angemessenen Betrag für das Fossil bekommen habe. Über den wirklichen Wert des Fossils, der damals bereits in Millionen US-Dollar geschätzt wurde, verlieren die Artikel kaum ein Wort. Stattdessen wird darauf verwiesen, dass 5,000 Dollar die höchste Summe sei, die jemals für ein Fossil bezahlt worden sei. Der Lakota-Stamm wird – genauso wie Maurice Williams‘ Abstammung – kaum erwähnt, und eine Souveränität des Stammes über sein Land und das Fossil spielt keine Rolle. Die Zeitungen in South Dakota sympathisierten stark mit dem Black Hill Institute, welches sie als lokales Unternehmen, das dringend benötigte Arbeitsplätze in die Gegend brachte, darstellten. Damit spiegelten die Zeitungen die Ansichten ihrer Leserschaft wider, die indianische Ansprüche nicht anerkannten und das FBI und die Regierung in Washington als Feinde ansahen.

Abbildung 3: Foto aus einer lokalen Zeitung. Die Abbildung zeigt Protestanten, die gegen das FBI und die Beschlagnahmung von Sue protestieren. Der Protest spiegelt nicht nur die Antipathie gegenüber Regierungsbehörden, sondern auch die breite Unterstützung des Black Hill Institute in der lokalen weißen Bevölkerung von South Dakota wider.

Die 2014 veröffentlichte Dokumentation Dinosaur 13 zeigt –  auf Grundlage eines Buchs von Peter Larson über den Konflikt um Sue – wie langlebig die koloniale Figur des heroischen Entdeckers in der amerikanischen Kultur ist. Der Film ist ein Lobgesang auf kommerzielle Fossiliensammler, der eine indianische Perspektive auf Fossilien nie zulässt. Stattdessen rücken Entdeckung und Ausgrabung als entscheidende Kriterien für Eigentumsrechte in den Mittelpunkt. In Bezug auf die Aktionen der Regierung schließt sich der Film Diskursen über eine Kritik an einer „big government“ an, der die Regierung als Ursache des Problems sieht und die Beschlagnahmung des Fossils als Übergriff auf amerikanischen Unternehmergeist interpretiert. Erstaunlicherweise werden kommerzielle Fossiliensammler auch als die einzigen wahren Wissenschaftler dargestellt. Im Gegensatz zu institutionell verankerten Wissenschaftlern besäßen Fossiliensammler ein überlegenes Wissen bei der Arbeit im Feld, so die populistische These. Wissenschaftler in Universitäten und Museen sollten am besten nur noch Fossilien von kommerziellen Unternehmen beziehen, die eine viel effektivere Suche durchführen könnten. Mit diesen durchaus populären Darstellungen (u. a. der Wissenschaftler als geek ohne praktische Fähigkeiten) hat die Dokumentation Dinosaur 13 einen Emmy Award gewonnen und wurde für den Preis der Jury auf dem Sundance Festival nominiert.

Insgesamt war das Black Hill Institute in der Lage die beste Geschichte für die Medien zu erzählen. Heldenfiguren wie die Entdeckerin Susan Hendrickson oder Peter Larson, als Underdog und Kämpfer gegen das FBI und die Bundesregierung, verkaufen sich bis heute gut in der Öffentlichkeit und dominieren die mediale Repräsentation der Auseinandersetzung über Sue. Dabei lassen sich zwei wesentliche Ergebnisse für die Konstruktionen einer amerikanischen Urzeit feststellen. Erstens verdeutlicht die Verbissenheit und Härte der Auseinandersetzung die Bedeutung, die eine Vorstellung von der amerikanischen Urzeit – hier repräsentiert durch Sue – heute noch besitzt. Als zweite wichtige Beobachtung lässt sich feststellen, dass indigene Perspektiven auf eine amerikanische Urzeit nicht etwa eine untergeordnete Rolle spielen (vor Gericht und in den Medien), sondern überhaupt nicht wahrgenommen werden.

 

LITERATURNACHWEIS

Lawrence W. Bradley. Dinosaurs and Indians: Paleontology Resource Dispossession from Sioux Lands. Outskirts Press, 2014, S. 2.

 

WEITERFÜHRENDE LITERATUR

Bradley, Lawrence W. Dinosaurs and Indians: Paleontology Resource Dispossession from Sioux Lands. Outskirts Press, 2014.

Dussias, Allison M. “Science, Sovereignty, and the Sacred Text: Paleontological Resource and Native American Rights.” Maryland Law Review 55:1 (1996), S. 84-159.

 

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

Abbildung 1: Quelle: Rapid City Journal 1992-05-29.

Abbildung 2: Quelle: https://paleobiodb.org; Zugriff am 12.03.2016.

Abbildung 3: Quelle: Rapid City Journal 1992-06-16.