'Tiere der Urwelt': Die Erschaffung einer ‘prähistorischen’ Landschaft

von Alexander Bräuer, 01.05.2016.

Zusammenfassung

Wie sieht eine ‘prähistorische’ Landschaft eigentlich aus? Der Maler Heinrich Harder versuchte diese Frage in der Sammelkartenserie Tiere der Urwelt, herausgegeben von einem deutschen Schokoladenhersteller am Anfang des 19. Jahrhunderts, mit seinen Illustrationen zu beantworten. Die Sammelkarten stellten ‚prähistorische‘ Tiere in ihrer natürlichen Umgebung dar und sollten ein realistisches Bild der fernen Vergangenheit zeichnen. Harder konnte für seine Illustrationen auf seine Ausbildung bei Eugen Bracht zurückgreifen, einem bekannten Maler für deutsche Landschaften und Motive aus dem Orient. Die ‚prähistorischen‘ Landschaften von Harder waren daher tief in den kolonialen und künstlerischen Diskursen ihrer Zeit verwurzelt. Dieser Hintergrund der noch immer beliebten Werke Harders beeinflusst unsere Vorstellungen von ‚prähistorischen‘ Landschaften bis heute.

Heinrich Harder studierte an der Königlichen Kunsthochschule in Berlin, bevor er zwischen 1890 und 1892 mehrere Kurse bei Eugen Bracht nahm, die seine Karriere grundlegend beeinflussen sollten. Nach 1892 arbeitete er als Landschaftsmaler in Berlin und spezialisierte sich auf Motive aus Brandenburg, der Lüneburger Heide, Mecklenburg, dem Harz und Schweden.[1] 1906 eröffnete er ein Studio für junge Künstler und wurde 7 Jahre später Professor an der Berliner Hochschule für bildende Künste.[2] Die Illustrationen für die Sammelkartenserie Tiere der Urwelt entstanden um 1900 und waren die ersten von vielen Bildern von Harder, die (‚prähistorische‘) Tiere darstellten. Er kooperierte mit Wilhelm Bölsche, einem berühmten Autor darwinistischer Texte, um mehrere Zeitschriftenartikel, Sachbücher, sowie Sammelkarten zu illustrieren. Das Malen von (‚prähistorische‘) Tieren ermöglichte es Harder, gleichzeitig seiner künstlerischen Tätigkeit nachzugehen, eine breite Öffentlichkeit zu erreichen und regelmäßig Geld zu verdienen.

Abbildung 1: ‚Heidelandschaft‘ von Eugen Bracht, 1884. & Abbildung 2: ‚Der Heideschäfer‘ von Eugen Bracht, 1879. Heinrich Harder wurde von Eugen Bracht, einem bekannten deutschen Landschaftsmaler, ausgebildet. Einige Elemente, wie zum Beispiel die Weite der Landschaft, haben Harders spätere Werke über prähistorische Tiere und Landschaften beeinflusst. Die Gemälde von Bracht versuchten eine Atmosphäre zu erschaffen, die die natürliche Verbindung zwischen Mensch, Tier und Landschaft unterstreicht.

Eugen Bracht, der Lehrer von Harder, ist bis heute bekannt für seine einflussreichen Darstellungen von Landschaften in Deutschland. 1875 führte er eine neue Bewegung an, die bisher vernachlässigte Landschaften Deutschlands wie die Lüneburger Heide wieder im künstlerischen Kanon verankerte. In seinen Gemälden betont er die menschlichen Beziehungen zur Natur, die ländliche Idylle, Heimatgefühle und ästhetische Beschaulichkeit. Sechs Jahre nachdem Bracht durch seine Landschaftsgemälde einer breiten deutschen Öffentlichkeit bekannt geworden war, wendete er sich 1881 der Orientmalerei zu.

Abbildung 3: ‘Halt on an Escarpment’ von Eugen Bracht, 1887. Im Unterschied zu vielen anderen Malern des 19. Jahrhunderts versuchte Bracht die Landschaft Arabiens mit ihren Bewohnern nicht exotisch darzustellen. Die Gemälde wurden auch deswegen in der deutschen Öffentlichkeit für ihre ethnologische Aussagekraft geschätzt.

Bracht reiste 1881 und 1882 zusammen mit zwei Orientmalern, Carl Coven Schirm und Adolf von Meckel, durch Syrien, Palästina und Ägypten. In seinen Werken versuchte Bracht seinen Ansatz aus der deutschen Landschaftsmalerei auf orientalistische Motive zu übertragen. Er hielt die vertrauten Momente in der unbekannten Landschaft fest und sah die Malerei im/vom Orient als eine Fortsetzung von und nicht als einen Bruch mit seinen vorherigen Werken.[3] Sein Gemälde Halt on an Escarpment, zum Beispiel, stellte eine Landschaft mit vielen Ähnlichkeiten zur Lüneburger Heide dar. Menschen wurden als wichtiger und natürlicher Teil der Landschaft angesehen, der sich ständig den schwierigen natürlichen Bedingungen anpassen musste.[4]

Bracht hat Harder nicht nur künstlerische beeinflusst. Zwei weitere biographische Einflüsse von Bracht haben Harders Werk Tiere der Urwelt geprägt. Zum einen war Bracht fasziniert von der fernen Vergangenheit, engagierte sich bei Ausgrabungen und war 1912 eines der ersten Mitglieder der Deutschen Paläontologischen Gesellschaft in Greifswald. Wilhelm Bölsche, der Autor der Texte zu vielen von Harders Werken, war ebenfalls Mitglied dieser Gesellschaft.[5] Dabei kombinierte Bracht seine Arbeitsreisen als Maler oft mit Besuchen bei Ausgrabungsorten. Zweitens gehörte Bracht zu den Künstlern, die regelmäßig von privaten Unternehmen, wie zum Beispiel dem Schokoladenhersteller Stollwerck aus Köln, kontaktiert wurden. Für diese fertigte Bracht Auftragsarbeiten an, wie zum Beispiel Illustrationen für Sammelkarten, oder er vermittelte die Arbeit weiter an seine Kollegen und Schüler.  

 

Die Illustrationen von Tiere der Urwelt

Abbildung 4: Die Illustrationen von Harder versuchten eine romantische Atmosphäre zu vermitteln. So ist zum Beispiel das Riesenfaultier in einem stimmungsvollen Licht (Sonnenaufgang oder -untergang) dargestellt. Bölsche unterstreicht Harders Absicht im Titel seines Textes, indem er die Bewegung des Riesenfaultiers als „schweifend“ beschreibt.

Eine romantisch-koloniale prähistorische Landschaft?

Die Landschaft in Harders Illustrationen wird stark romantisiert. Die natürliche Umwelt der ‚prähistorischen‘ Tiere wird oft während des Sonnenauf- oder -untergangs gezeigt, um eine romantische Atmosphäre zu erzeugen. Romantische Malerei versuchte den Betrachter durch die emotionale Aufladung von (natürlichen) Elementen im Bild mit der Landschaft zu verbinden. Harder wurde mit diesen Techniken während seiner frühen Karriere bekannt gemacht, als er meistens seine Heimat in der Umgebung von Berlin malte. Die Darstellung von Heimat war ein beliebtes Motiv von Malern zu Beginn ihrer Karriere. Zusätzlich schuf Harder durch seine Darstellungen – ähnlich wie einige andere koloniale Maler – eine vorgeschichtliche Fantasielandschaft, die von fremden Kreaturen bewohnt wird. Die ästhetisch ansprechenden, klar strukturierten und mit Ausnahme der Tiere leeren Landschaften luden zu einer späteren menschlichen Besiedlung/Kolonisierung ein. Im Unterschied zu seinen Darstellungen von deutschen Landschaften wie der Heide vermittelten die ‚prähistorischen‘ Landschaften den Eindruck eines großen landwirtschaftlichen Potentials, das nur darauf wartete abgerufen zu werden. Das häufig dargestellte fruchtbare Grasland war vermutlich das begehrteste Siedlungsland im Rahmen des Kolonialismus. Darüber hinaus zeigen viele Illustrationen leicht zugängliche Wasser- und Holzressourcen in der Umgebung. Die Betrachter erkannten in diesen Repräsentationen von urzeitlichen Landschaften Analogien zu kolonialen Landschaften, die in Deutschland gegen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts zirkulierten.

 

Weite Landschaften und die Dekadenz der ‘prähistorischen’ Tiere

Die Landschaft in Tiere der Urwelt wird als üppig, weit und leicht zugänglich für die riesigen ‚prähistorischen‘ Tiere porträtiert. Damit dient sie als Hintergrund für die Darstellung der Tiere als langsam, schwerfällig und untätig (Eigenschaften, die auch in vielen Beschreibungen der indigenen Bevölkerungen auftauchen). Im Unterschied zur weiten Landschaft erscheinen die Tiere faul und inaktiv. Sie zeigen jene Dekadenz, die, laut Bölsche, zu ihrem Verschwinden führte.

Abbildung 5: Die Unbeholfenheit und Langsamkeit der Tiere wird im Kontext der weiten Landschaft besonders hervorgehoben. Zeitgenössische Vorstellungen gingen davon aus, dass die riesigen Tiere nicht in der Lage waren sich schnell zu bewegen. Die Idee, dass sich Dinosaurier schnell und flink bewegen konnten, war ein Ergebnis der ‚Dinosaurier Renaissance‘ in den 1970er Jahren.

Die Texte von Bölsche unterstreichen diese darwinistische Argumentation, die zur orientalistischen Malerei am Ende des 19. Jahrhunderts zurückverfolgt werden kann. Obwohl sich die meisten Tiere durch die Landschaft bewegen, tun sie dies oft sehr langsam und scheinbar nicht zielgerichtet. Laut Bölsche und Harder waren die ‚prähistorischen‘ Tiere zu träge und unbekümmert, um den brutalen Kampf gegen eine erbarmungslose Natur zu gewinnen. Der Ankunft von überlegenen – weil durch Konkurrenz und Selektion gestärkten – Tieren oder Menschen in ihrem Lebensraum waren sie (so suggeriert das Bild) nicht gewachsen und mussten dementsprechend aussterben.

 

Exotische Gegenden: Koloniale Vegetation in einer ‚prähistorischen‘ Landschaft?

Eine übliche Strategie, um Fremdheit und Differenz in Zeit, Raum und Kultur auszudrücken, ist die Exotisierung. Die Orientmalerei und andere visuelle Darstellungen der Kolonien nutzten diese Mittel und bildeten oft exotische Kulturen und eine fremde Natur ab.

Abbildung 6: Die Illustrationen von Heinrich Harder bedienen sich immer dann exotischer Elemente, wie Palmen, Farnen oder tropischen Stränden, wenn die dargestellten Tiere bereits für längere Zeit als ausgestorben gelten. Außerdem hinterlassen Dinosaurier – im Gegensatz zu allen anderen Tieren auf Harders Bildern – Fußspuren in der Landschaft. Fußspuren sollten nicht nur die Größe und das Gewicht der Tiere betonen, sondern können als Verbindung zwischen archäologischen Funden (oft Fußspuren nahe alter Wasserstellen) und den Tieren selbst interpretiert werden. Fußspuren repräsentier(t)en ein wichtiges kulturelles Symbol für Dinosaurier.

Der exotische Eindruck wird in Harders Illustrationen durch die Pflanzenwelt erzeugt. Im 19. Jahrhundert waren Palmen, Farne und tropische Strände leicht als Elemente einer exotischen Landschaft zu erkennen. Beim Betrachter konnten durch tropische Vegetation und Strände Assoziationen zu den deutschen Südseekolonien geweckt werden. Tiere, die in einem kolonialen Lebensraum verortet werden, sind dementsprechend auch meistens in einer exotischen Landschaft integriert. Das Gleiche gilt vor allem für Dinosaurier, selbst wenn deren Lebensraum in Europa lag. Harder war sich der Klimaveränderungen innerhalb der letzten Jahrtausende bewusst und malte die Dinosaurier in ihren vermuteten natürlichen klimatischen Bedingungen.

 

Epilog: Die Erhebung der ‘prähistorischen’ Landschaften

Die ‘prähistorischen’ Landschaften in Tiere der Urwelt lassen ein Element vermissen: signifikante Erhebungen oder Felswände. Felswände waren und sind für die Darstellung einer Urzeit deswegen von besonderer Bedeutung, weil die meisten Funde von Fossilien oder Artefakten dort gemacht wurden. Wie Stephanie Moser und Clive Gamble in einem Artikel zeigen,[6] avancierten Felswände damit zu einem wichtigen Merkmal von ‚prähistorischen’ Landschaften.

Abbildung 7 & 8: Zwei Illustrationen des Vézère-Tals in Frankreich aus dem späteren Werk von Heinrich Harder. Das Vézère-Tal ist ein bekannter Fundort für archäologische Artefakte der Urgeschichte. Felswände waren ein wichtiger für die visuelle Darstellung von ‚prähistorischen‘ Landschaften. In ‚Tiere der Urwelt‘ jedoch verzichtet Harder auf Felswände, vermutlich um die Darstellung der Tiere in den weiten Landschaften in den Vordergrund zu rücken – jedoch auch mit der Folge, dass ihre Historizität getilgt wird.

Harder war sich dieser Bedeutung von Felswänden sicherlich bewusst, wie seine späteren Werke zeigen. Felswände erlaubten eine visuelle Darstellung von Zeitunterschieden: jede Epoche konnte einer Gesteinsschicht zugeordnet werden und damit historisch und hierarchisch verortet und in ein Fortschrittsnarrativ integriert werden. Harders Illustrationen waren allerdings nie dafür bestimmt einen Zeitunterschied abzubilden. Stattdessen bildete eine (sozial)darwinistische Weltanschauung und deren Implikationen für eine ausgewählte Gruppe von Tieren das zentrale Ordnungselement der Sammelkartenserie. Einige der „Tiere der Urwelt,“ wie z.B. das europäische Wildrind, waren gar nicht ausgestorben und konnten daher sowieso nicht einer ‚Urwelt‘ oder Felsschicht zugeordnet werden. Die Tiere der Urwelt galten als ‚prähistorisch‘, weil sie in der angenommenen evolutionären Hierarchie am Schluss standen und den Überlebenskampf verloren hatten, und nicht aufgrund einer konkreten zeitlichen Zuordnung. Dadurch konnte Harder auf die Darstellung von Felswänden als zeitliche Marker verzichten. Für die Darstellung einer ‘prähistorischen’ Landschaft erwiesen sich koloniale und darwinistische Komponenten, die beide ihre eigenen Geschichtsvorstellungen mitbrachten, als wichtiger.

 

LITERATURNACHWEISE

[1] Detlef Lorenz. Künstlerspuren in Berlin vom Barock bis heute: Ein Führer zu Wohn-, Wirkungs- und Gedenkstätten. Berlin: Dietrich Reimer Verlag, 2002, S. 260.

[2] Lorenz, Künstlerspuren in Berlin vom Barock bis heute, S. 260.

[3] Karin Rhein. Deutsche Orientmalerei in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Entwicklung und Charakteristika. Berlin: Tenea Verlag, 2003, S. 86.

[4] Rhein, Deutsche Orientmalerei in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, S. 88.

[5] „Verzeichnis der Mitglieder der Paleontologischen Gesellschaft 1913.“ In: Jaekel, Otto (Ed.). Palaeontologische Zeitrschrift I (1914), S. 439.

[6] Stephanie Moser & Clive Gamble. “Revolutionary Images: The Iconic Vocabulary for Representing Human Antiquity.“ In: Molyneaux, Brian L. (Ed.). The Cultural Life of Images: Visual Representation in Archaeology. London & New York: Routledge, 1997, S. 184-212.

 

WEITERFÜHRENDE LITERATUR

Rhein, Karin. Deutsche Orientmalerei in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Entwicklung und Charakteristika. Berlin: Tenea Verlag, 2003.

 

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

Abbildung 1: Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Eugen_Bracht_Heidelandschaft_Neu_Zittau.jpg; Zugriff am 13.04.2016.

Abbildung 2: Quelle: http://www.zeno.org/Kunstwerke/B/Bracht,+Eugen%3A+Der+Heidesch%C3%A4fer; Zugriff am 14.04.2016.

Abbildung 3: Quelle: commons.wikimedia.org/wiki/File:Halt_on_an_Escarpment_-_Eugen_Bracht.jpg; Zugriff am 14.04.2016.

Abbildung 4: Illustration eines Megatheriums von Heinrich Harder. Abbildung von Sammelkarte Nr. 2. Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Megatherium.jpg; Zugriff am 13.04.2016.

Abbildung 5: Illustration eines Diplodocus von Heinrich Harder. Abbildung von Sammelkarte Nr. 17. Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Diplodocus_Heinrich_Harder.jpg; Zugriff am 13.04.2016.

Abbildung 6: Illustration eines Iguanodon von Heinrich Harder. Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Iguanodon_Heinrich_Harder.jpg; Zugriff am 13.04.2016.

Abbildung 7: Quelle: Klaatsch, Hermann. Der Werdegang der Menschheit und die Entstehung der Kultur. Berlin: Deutsches Verl.-Haus Bong & Co., 1920, Tafel I.

Abbildung 8: Quelle: Klaatsch, Hermann. Der Werdegang der Menschheit und die Entstehung der Kultur. Berlin: Deutsches Verl.-Haus Bong & Co., 1920, Tafel III.