Sacajawea: Erklärungen zum Titelbild der Webseite
von Gesa Mackenthun, 10.03.2016.
Zusammenfassung
Unser Titelbild zeigt eine Stickerei von Georgiana Brown Harbeson (1894-1980), die den Titel „Sacajawea“ trägt und als Cover von Needlecraft. The Home Arts Magazine, einer Zeitschrift für Handarbeit, im Juli 1933 veröffentlicht wurde. Harbeson war eine Pionierin moderner Stickereikunst, die auf zahlreichen Zeitschriftencovern der 1920er und 1930er Jahre erschien. Zu ihren Lebzeiten entwickelte Harbeson die Stickerei zu einer wahren Kunstform und schuf darüber hinaus mehrere Ölgemälde mit pastoralen Motiven. Ihre Werke wurden u.a. vom Metropolitan Museum of Art in New York ausgestellt.
Unser Titelbild zeigt eine Stickerei von Georgiana Brown Harbeson (1894-1980), die den Titel „Sacajawea“ trägt und als Cover von Needlecraft. The Home Arts Magazine, einer Zeitschrift für Handarbeit, im Juli 1933 veröffentlicht wurde. Harbeson war eine Pionierin moderner Stickereikunst, die auf zahlreichen Zeitschriftencovern der 1920er und 1930er Jahre erschien. Zu ihren Lebzeiten entwickelte Harbeson die Stickerei zu einer wahren Kunstform und schuf darüber hinaus mehrere Ölgemälde mit pastoralen Motiven. Ihre Werke wurden u.a. vom Metropolitan Museum of Art in New York ausgestellt.[1]
Uns fasziniert ihr Bild von Sacajawea aus mehreren Gründen. Die Darstellung der indigenen Führerin von Lewis und Clarks berühmter Expedition, die Lemhi Shoshonen-Frau Sacajawea, weicht beträchtlich von den üblichen Darstellungen ab (Abb. 2), in denen sie als genau so groß oder kleiner als die weißen Entdecker abgebildet wird.
Anders als in anderen Bildern steht Sacajawea hier nicht einfach nur auf einer Anhöhe, sondern schwebt über den Rocky Mountains und der gesamten nördlichen Hälfte der amerikanischen Hemisphäre. Lewis und Clark warten indes hinter einem Felsen, wie zwei kleine Jungs, die Verstecken spielen. Liest man das Bild gegen die koloniale Metapher der Feminisierung Amerikas, weicht die indigene Frau deutlich von Theodor Galles „America“ von 1589 ab, in der Amerika von einer nackten Frau symbolisiert wird, die Amerigo Vespucci mit offenen Armen in ihrer Hängematte empfängt (Abb. 3).
Harbesons Darstellung zeigt Sacajawea nicht in einer erotischen und derart unterwürfigen Geste, sondern erinnert an zwei berühmte weiße Frauendarstellungen: diejenige von Queen Elisabeth I. im berühmten „Ditchley Porträt“ (in dem Elisabeth, „die jungfräuliche Königin“ und Gründerin des Britischen Imperiums, herrscherhaft auf einer Karte von England steht) und John Gasts Allegorie „American Progress“ von 1872/74 (in der Lady Columbia über der Landschaft schwebt und in ihren Armen die Paraphernalien der Zivilisation – ein Schulbuch und eine Telegrafenleitung – hält, die Licht in das Dunkel des amerikanischen Westens bringen sollen (Abbildungen 4 und 5).
Interpretiert im Kontext von Gasts Gemälde, überträgt Harbeson die Pose der weiblichen Versinnbildlichung des Imperiums auf die indigene kulturelle Übersetzerin Sacajawea. In Verbindung mit der eingeschränkten Sichtbarkeit der weißen männlichen Entdecker kann dies als subversive Geste gedeutet werden. Das Bild hebt das Wirken der indigenen Wegbereiterin und Vermittlerin hervor, deren Bedeutung in den meisten kolonialen Texten kaum berücksichtig wurde. Hier zeigt es sie als Herrscherin über die Landschaft Nordamerikas.[2]
Darüber hinaus ist die geografische Region, auf die Sacajawea deutet, der pazifische Nordwesten – der bekanntlich das Ziel der Lewis-und-Clark-Expedition von 1805 war[3] – auch das Gebiet, aus dem viele auf die Frühzeit bezogene Fundorte und Geschichten stammen, denen wir uns in unserem Projekt widmen. Die Gegend ist eine der ältesten Kulturregionen Nordamerikas und Herkunftsort so spektakulärer Funde wie dem Skelett des „Kennewick-Mannes“/dem Uralten (Link zum Artikel). Es ist auch die Gegend, in der Sasquatch (Bigfoot) durch den tiefen Tann streift.
Während der Suche nach dem Ursprung des Kunstwerks mittels einer an den American Indian Workshop im Juli 2015 geschickten Rundmail ergab sich eine interessante Diskussion mit einer indianischen Kollegin in Utah, Franci Lynne Taylor. Franci berichtete, dass sie das Bild an andere indianische Wissenschaftlerinnen weitergeleitet hatte und es für „viel Gesprächsstoff“[4] sorgte. Einige ihrer Kolleginnen kritisierten, dass Sacajawea in dem Bild keine traditionelle Kleidung der Mandan trägt (der Stamm, bei dem sie als Frau des Franzosen Toussaint Charbonneau lebte, als Lewis und Clark sie trafen). Viele von ihnen waren besonders unzufrieden mit dem deutenden Zeigefinger der Frau, den sie als imperiale Geste kritisierten. Ich (G.M.) schlug vor, das Bild als Ergebnis einer kolonialen Kontaktzone zu lesen, die die kolonialen Machtverhältnisse umkehrt: Lewis und Clark sind winzig und verstecken sich wie Kinder hinter einem Felsen während Sacajawea die Landschaft überragt. Ich legte nahe, dass die Stickerei weder postkolonial noch anti-imperialistisch ist, sondern vielleicht etwas feministisch. So oder so deutete das Bild an, wer beim Bereisen der Gegend tatsächlich den Ton angab und über Ortskenntnisse verfügte. Franci entgegnete, dass „der allgemeine Konsens [unter ihren Kolleginnen] war, dass das Bild so viele subtile Botschaften einer heutigen Interpretation widerspiegelt, dass es schwierig ist, deren Aussageabsicht zu dekonstruieren.“[5] Außerdem machte sie mich auf einen der wichtigsten intertextuellen Bezüge aufmerksam, der mir entgangen war und der sich auf eine Quelle nicht-westlichen Ursprungs bezog. Franci stellte heraus, dass der Stil der Stickerei eine gewisse Ähnlichkeit mit Ledger-Zeichnungen indianischer Gefangener und Schüler aus Fort Marion in Forida aufwies und vielleicht von diesen inspiriert gewesen sein könnte.
Diese Zeichnungen (Abb. 6) wurden von indianischen Gefangenen angefertigt, während sie am Ende der „Indianerkriege“ in Gefangenenlagern festgehalten wurden. „Viele Cheyenne und andere wurden zu dem Kriegsgefangenenlager in Fort Marion geschickt“, erklärt Franci. „Weil dort so viele ‚Krieger‘ untergebracht waren, gab man ihnen Ledger-Papier und andere Papierreste, um ihre Erzählungen und Lebensgeschichten auf diesen niederzuschreiben. Diese Zeichnungen wurden als Fort Marion Ledger Art bezeichnet. Ledger Art wurde später von den ‚Kiowa Seven‘ und anderen Vertretern des American Indian Art Movement wiederbelebt. Es ist einer der weitverbreitetsten Stile heutiger indianischer Kunst.“
Vielen Dank, Franci, dass Du diese wichtigen Informationen mit uns geteilt hast. Wie dieses Beispiel zeigt, kann ein intellektueller Austausch das Verständnis unseres Materials stark erweitern.
LITERATURNACHWEISE
[1] “Georgia Brown Harbeson.” James E. Michener Art Museum. Online. http://www.michenermuseum.org/bucksartists/artist.php?artist=101 (Zugriff am 09.03.2016)
[2] Harbeson hat eine ganze Reihe von Stickereien indianischer Frauen angefertigt, darunter auch eine von Pocahontas und von “Minnehaha” die auf Longfellows epischem Gedicht Hiawatha basiert. Siehe http://www.carolynagner.com/embroidery/2012/georgiana_covers.htm
[3] Übrigens sind die im Bild dargestellten Staatsgrenzen nicht die von 1805, sondern die der 1930er.
[4] Alle Übersetzungen von Stefan Krause
[5] Email-Korrespondenz GM mit Franci Lynne Taylor, Juli 2015.
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
Abbildung 1: Georgiana Brown Harbeson, „Sacajawea.“ Needlecraft. The Home Arts Magazine (Juli 1933).
Abbildung 2: Edgar Samuel Pacson, “Lewis & Clark at Three Forks” (1912, detail). Quelle: Wikipedia.
Abbildung 3: Theodor Galle/Jan van der Straet, Vespucci entdeckt Amerika (1589). Quelle: The complete Nova Reperta Online (University Liège, Belgium).
Abbildung 4: Marcus Gheeraerts der Jüngere, Königin Elisabeth I (1592) (“Ditchley portrait”). National Portrait Gallery, London. Quelle: Wikipedia.
Abbildung 5: John Gast, “American Progress” (1872/74). Quelle: Wikipedia.
Abbildung 6: Zeichnung einer Büffeljagd von Shave Head, oder O-uk-ste-uh (Cheyenne), gezeichnet zwischen 1875 und 1878 in Fort Marion, Florida. Quelle: Sarah Coffee, “A closer look at the Plains Indian Ledger Drawings for American Indian Heritage Month.” November 21, 2012. http://americanhistory.si.edu/blog/2012/11/a-closer-look-at-the-plains-indian-ledger-drawings-for-american-indian-heritage-month.html (Zugriff am 09.03.2016).