Die präkolumbianischen Geschichte im American Museum of Natural History in New York

von Alexander Bräuer, 15.11.2016.[1]

Zusammenfassung

Zwischen Dinosauriern und geologischen Proben eröffnet das American Museum of Natural History in New York eine ganze Reihe von Einblicken in die Konstruktion der präkolumbianischen Geschichte Nordamerikas für die amerikanische und internationale Öffentlichkeit. Die geographisch strukturierten Ausstellungshallen der indigenen Bevölkerung Nordamerikas sowie einige der Exponate der Fossiliensammlungen sind eng mit einer kolonialen Konstruktion der Vergangenheit verbunden. Die Hypothese des Pleistocene Overkill (der von Menschen verursachten Ausrottung von Großfauna im Pleistozän) wird zum Beispiel in den Fossilienausstellungen und in den Büffeljagden der Indian Halls dargestellt. Die Beobachtungen dieses Artikels basieren auf einem Besuch im American Museum of Natural History im September 2016.

Abbildung 1: Eintrittshalle des AMNH. © Alexander Bräuer.
Abbildung 2: Werbung für eine Dinosaurierausstellung. © Alexander Bräuer.

Dinosaurier sind die Zugpferde von Museen für Naturkunde. Sie sind riesig, faszinierend, uralt und am wichtigsten: sie verkaufen Tickets. Die Sammlungen des American Museum of Natural History (AMNH) in New York bilden keine Ausnahme. Heutzutage werden sie von Fossilien, insbesondere Dinosauriern, dominiert, wie bereits die Eintrittshalle (Abbildung 1) des Museums verdeutlicht. Dort müssen die Besucher mindestens zwei Dinosaurierskelette umkurven bevor sie eine Chance haben ein Ticket zu erwerben. Die Werbung, Sonderausstellungen und große Teile der permanenten Ausstellungen widmen sich ihnen aus jeder möglichen Perspektive und zielen insbesondere auf Kinder (und zugegebener Maßen auch einige Erwachsene wie den Autoren dieses Artikels) ab, um eine perfekte Atmosphäre für Familienausflüge zu schaffen. Die anderen Sammlungen des AMNH nehmen dadurch oft eine Nebenrolle im typischen Museumsausflug ein. Sie werden erst besucht, wenn die Dinosaurier einen Teil ihrer Faszination verloren haben. Dabei beansprucht das AMNH mit seiner universalen Ausrichtung und trotz seines Namens (Natural History) Einblicke in die Kulturen Asiens, Afrikas, Nord- und Südamerikas und des Pazifiks. Europäische Kulturen sind kein Bestandteil der Ausstellungen, weil sie offenbar nicht zur Natural History gerechnet werden. Diese Schwerpunktsetzung und die Leerstellen reflektieren in mehrfacher Hinsicht die kolonialen Ursprünge des AMNH. Unter kolonialen Vorstellungen konnten die indigenen Kulturen Asiens, Afrikas, Amerikas und des Pazifiks ausgestellt werden, weil man annahm, dass sie im Aussterben begriffen waren. Sie wurden aufgrund dieser Logik den Fossilien und anderen Artefakten von ausgestorbenen Tieren gleichgestellt. Um 1900, als die Struktur des AMNH und vieler anderer Museen festgelegt wurde, dominierten Vorstellungen einer fortschrittsbezogenen anglo-amerikanischen Moderne, die sich selbst als Höhepunkt der menschlichen Entwicklung verstand und dazu bestimmt war andere ‚primitive‘ Kulturen zu verdrängen. Nicht zuletzt dienten Museen der Bestätigung einer solchen kolonialen und sich als modern betrachtenden Weltanschauung.

Das AMNH beinhaltet mehrere Sammlungen, die sich mit den indigenen Kulturen Nordamerikas beschäftigen: die “Hall of Eastern Woodlands Indians,” die “Hall of Northwest Coast Indians” und die “Hall of Plains Indians.”

Abbildung 3: Die Ausstellungen über die indigene Bevölkerung Nordamerikas haben ein düsteres Erscheinungsbild (um die Artefakte zu schützen) und befinden sich an den Rändern der prominenteren Dinosaurier-Ausstellungen. Die „Hall of Eastern Woodland Indians,“ zum Beispiel, kann nur nach einer Durchquerung von drei anderen Ausstellungshallen erreicht werden. © Alexander Bräuer.
Abbildung 4: Ein weiteres Beispiel für die unheimliche Atmosphäre der indigenen Ausstellungshallen ist die „Hall of Northwest Coast Indians.“ Die älteste Halle des AMNH konzentriert sich immer noch auf die abstrakte Kategorisierung von Artefakten anstatt die Objekte in ihrem kulturellen Zusammenhang zu präsentieren. © Alexander Bräuer.

Aufgrund des Fokus auf die Konstruktion der präkolumbianischen Geschichte werden sich die folgenden Abschnitte im Wesentlichen auf die Teile der Sammlungen konzentrieren, die sich mit der Geschichte der indigenen Kulturen beschäftigen und dabei die umfangreichen Ausstellungen über Mineralien, Pflanzen und Tiere, die im Museum nur selten mit der menschlichen Geschichte in Verbindung gebracht werden, ignorieren. Wie bereits erwähnt folgen die Ausstellungen über die indigenen Kulturen Nordamerikas einer geographischen Struktur und ordnen diese Kulturräumen zu. Nur ein kleiner Teil der Ausstellungen widmet sich den indigenen Kulturen vor der europäischen Besiedlung. Stattdessen liegt der Fokus auf dem Stand der indigenen Kulturen zur Zeit des ersten Kontakts und die unmittelbare Zeit danach. Dadurch wird den indigenen Kulturen eine Geschichtslosigkeit zugewiesen. Sie werden als statisch dargestellt, Veränderungen und Entwicklungen setzen nach dieser Vorstellung erst mit der europäischen Besiedlung und dem Einzug der Moderne ein. Der Eindruck von geschichtslosen und vormodernen indigenen Kulturen wird weiter verstärkt durch die spärliche Beleuchtung der Ausstellungen (Abbildungen 3 & 4), die aber notwendig ist um die Artefakte vor Lichteinfluss zu schützen. Insbesondere im Vergleich zu den perfekt ausgeleuchteten Fossilienausstellungen erscheinen die Ausstellungshallen über indigene Kulturen wie aus einer anderen Zeit.

Ein koloniales Gedankengut ist immer noch ein Bestandteil in den meisten Sammlungen des AMNH. Das beste Beispiel liefert eine Tafel zum „cultural contact“ (Kulturkontakt) in der Pacific Hall: „Der Kontakt zwischen einer dominierenden, komplexen Gesellschaft und einer weniger komplexen, ursprünglichen Gesellschaft führt unausweichlich zu größeren Veränderungen in letzterer. Einige ursprüngliche Gesellschaften kommen gut mit Kontaktsituationen zurecht.” (“Contact between a dominating, complex society and a less complex, native society inevitably leads to the latter undergoing the greater change. Some native societies adapt well to the contact situation.”). Die Unterstellung, dass europäische Kulturen komplexer und einflussreicher sind als indigene Kulturen ist nicht nur auf die Ausstellung zum pazifischen Raum beschränkt. Der Einführungstext zur Hall of the Eastern Woodlands kombiniert eine positive Bevölkerungsentwicklung in den letzten Jahrzehnten mit einer moderneren und europäischen Lebensführung: „Die Bevölkerungszahl der Indianer der Eastern Woodlands steigt nun wieder nach einer Periode des Bevölkerungsrückgangs und sie nehmen jetzt vollkommen an der

Abbildung 5 & 6: Darstellungen des “Buffalo Jumps” – eine indigene Jagdmethode, die aus moderner Perspektive am brutalsten anmutet und in der eine Büffelherde über eine Klippe getrieben wird – sind ein prominenter Teil der Ausstellung zu den Plains Indians. © Alexander Bräuer.

vollkommen an der modernen kanadischen und amerikanischen Lebensweise teil.“ (“The Eastern Woodlands Indians are now increasing in population following a period of decline and are participating fully in modern Canadian and American life.”). Dieses koloniale Gedankengut findet seinen Weg auch in die Darstellung einer präkolumbianischen Geschichte.

Nicht nur werden die Zeugnisse der indigenen Kulturen in denselben Räumlichkeiten wie Fossilien oder Mineralien ausgestellt und dadurch zu einem Teil der Naturkunde erklärt; das AMNH vertritt auch problematische Thesen wie diejenige des „Pleistocene Overkill.“ Diese populäre Theorie postuliert, dass die indigenen Bewohner Nordamerikas für das Aussterben der eiszeitlichen Megafauna verantwortlich waren. Dabei ist die Debatte um die Theorie geprägt von Darstellungen der indigenen Bevölkerung als unökologisch und grausam. Das AMNH erwähnt die Theorie auf zwei Tafeln in den Fossilienhallen. Eine davon beschreibt die Rolle der indigenen Bevölkerung beim Aussterben des Riesenfaultiers als eine offene Frage, die zweite Tafel hingegen wird deutlicher: “Große Landsäugetiere, die zahlreich vertreten waren und kaum natürliche Feinde hatten, wurden von den frühen Bewohnern Südamerikas effizient gejagt und müssen für den menschlichen Lebensunterhalt grundlegend gewesen sein. Schließlich trug die Überjagung der großen pleistozänen Säugetiere vermutlich zu ihrem Aussterben bei.“ (“Large land mammals, abundant and mostly lacking other animal predators, were efficiently hunted by early inhabitants of South America and must have been basic to human subsistence. Eventually, overhunting of these big Pleistocene mammals probably contributed to their extinction.”). Die Botschaft der unökologischen indigenen Bevölkerung wird weiter verstärkt durch die prominente Darstellung von Büffeljagden in den Ausstellungen, die sich mit der indigenen Kultur Nordamerikas beschäftigen (Abbildung 4 & 5). Alternative Theorien für das Aussterben der Megafauna oder Vergleiche mit der menschlichen Bejagung von Tieren in Europa im gleichen Zeitraum werden hingegen nicht erwähnt.

Auch wenn die “Pleistocene Overkill”-Hypothese in diesem Kontext nicht erwähnt wird, entsteht das Bild einer grausamen und exzessiven Jagdweise. Darüber hinaus ist die koloniale Vergangenheit in Gestalt der zahlreichen Gemälde von Charles R. Knight, einem berühmten Maler von Dinosauriern und prähistorischen Tiere zu Beginn des 20. Jahrhunderts, vertreten. Knight basierte seine Gemälde auf den Fossilien im AMNH und beide sind heutzutage in unmittelbarer Nähe zueinander zu bewundern. Dabei ermöglichen die Gemälde eine lebendige Darstellung der Fossilien in einer natürlichen Umgebung. Knight, wie auch andere Künstler seiner Zeit, nutzten ihren Einfluss um darwinistische Vorstellungen unter anderem in Museen zu verbreiten. Im Zuge der (sozial-)darwinistischen Ideen wurden die Grenzen zwischen der natürliche Auslese des Stärkeren im Tierreich und der Konkurrenz zwischen ‚primitiven‘ und ‚modernen‘ Kulturen oft überschritten.

Abbildung 7: Die Ausstellungen über Dinosaurier und prähistorische Tiere werden von den Gemälden von Charles R. Knight aus dem beginnenden 20. Jahrhundert erläuternd begleitet. Das dadurch vermittelte Bild der amerikanischen Vergangenheit erhält dadurch eine darwinistische und, auf Menschen übertragen, kolonialistische Prägung. © Alexander Bräuer.
Abbildung 8: Typischer Schaukasten in der AMNH,in dem das Fossil im Mittelpunkt, Informationstafeln im Vordergrund und die Gemälde von Charles R. Knight im Hintergrund dargestellt werden. © Alexander Bräuer.

Eine weitere Spur der kolonialen Vergangenheit des AMNH lässt sich in der Herkunft der vielen Fossilien wiederfinden. Eine Informationstafel in einer der Fossilienhallen ehrt Henry Fairfield Osborn, der im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert das AMNH bekannt machte und modernisierte, als eine „Person der Paläontologie“ (“Personalities of Paleontology”). Osborn war bekannt für seine innovative Darstellungsweise der Exponate, etablierte aber auch ein professionelles und effizientes Netzwerk für die Fossilienbeschaffung. Das AMNH war dadurch in der Lage von den vielen Expeditionen der Fossilienjäger während und nach den „Bone Wars“ zu profitieren. Die Fossiliensammlungen sind daher oft selbst das Ergebnis kolonialer Unternehmungen wie der Enteignung und des Massenmordes an der indigenen Bevölkerung im mittleren Westen der USA.

Insgesamt gesehen, wird die Darstellung der präkolumbianischen Vergangenheit von den Dinosauriern im AMNH erdrückt. Dadurch werden die hier gemachten Beobachtungen aber nicht weniger relevant. Viele der Fossilien haben ihren Ursprung in kolonialen Unternehmungen und zeigen die Einflüsse der kolonialen Vergangenheit auf das American Museum of Natural History und die Repräsentation der amerikanischen Frühgeschichte.

 

LITERATURNACHWEIS

[1] Besuch des American Museum of Natural History am 14.09.2016.

 

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

Abbildung 1-8: Bräuer, Alexander. 09/2016. JPEG. © Alexander Bräuer.