Die „Bone Wars“ und der amerikanische Siedlerkolonialismus

von Alexander Bräuer, 04.05.2017.

Zusammenfassung

Edward Cope gegen Othniel Marsh. Das ist die einfache und faszinierende Formel, auf die sich viele gängige Interpretationen der sogenannten „Bone Wars“ (Knochenkriege) reduzieren lässt. Der mit oft unfairen Mitteln ausgetragene Wettstreit zwischen zwei Wissenschaftlern über die Ausgrabung von Fossilien gegen Ende des 19. Jahrhunderts im amerikanischen Westen hat in der Vorstellungskraft der amerikanischen Öffentlichkeit einen legendären Status erreicht. Die Faszination wurde durch eine Kombination von professioneller Eifersucht, zum Teil gefährlichen Ausgrabungen im „Wilden Westen“, die Entdeckung einer längst vergangenen „Ur“-Welt und die Geburt einer neuen wissenschaftlichen Disziplin, der Paläontologie, befeuert. Dieser Artikel wird keine weitere Kohle ins Feuer schütten und auf eine Nacherzählung der Fehde der beiden Hauptakteure verzichten. Stattdessen soll eine neue Perspektive auf die Jagd nach Fossilien entwickelt werden und die Ereignisse der „Bone Wars“ in die Geschichte des amerikanischen Westens – die Kolonisierung von Colorado, Nebraska und Wyoming durch Siedler im späten 19. Jahrhundert – integriert werden. Dieser historische Hintergrund spielte auch für weitere Akteure auf unserer Webseite wie z. B. Albert Koch eine wichtige Rolle. Eine strukturelle Betrachtung der “Bone Wars” verdeutlicht, wie Cope, Marsh und andere Fossilienjäger aktiv daran mitwirkten, die europäische Besiedlung voranzutreiben und dabei die indigene Bevölkerung – falls notwendig – auszulöschen.

Abbildung 1: Eine klassische Szenerie im Siedlerkolonialismus: Die Expedition von Othniel C. Marsh, 1870.

                      “Settler Colonialism is a Structure, not an Event”

                (Siedlerkolonialismus ist eine Struktur und kein Ereignis)

                                                Patrick Wolfe

Der Wettstreit zwischen Edward Drinker Cope und Othniel Charles Marsh (auch als “Bone Wars” oder „Great Dinosaur Rush“ bekannt) ist ohne Zweifel ein faszinierendes Thema. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts konkurrierten die beiden Rivalen um die Fossilienvorkommen des amerikanischen Westens – meistens Colorado, Nebraska und Wyoming. Amerikanische Zeitungen berichteten ausführlich über die Konkurrenz zwischen den beiden Fossilienjägern und traten so eine Begeisterung für Dinosaurier und ihre Entdecker los, die bis heute anhält. Die Menge an Fossilien, die Namensrechte an neuentdeckten Arten, die Kategorisierung der Fossilien, und der monetäre Wert der Knochen standen unter anderem im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen. Dabei schreckten Cope und Marsh auch nicht vor zweifelhaften Methoden und zwielichtigen Mitarbeitern zurück um ihre Ziele zu erreichen. Beide sehnten sich nach der (alleinigen) Anerkennung ihrer Errungenschaften durch die amerikanische Öffentlichkeit und die junge wissenschaftliche Disziplin.

Abbildung 2: Othniel Charles Marsh (links) und Edward Drinker Cope (rechts).

Dadurch entwickelte sich eine faszinierende Geschichte rund um Verrat, professionelle Eifersucht, urzeitliche Fossilien, gefährliche Expeditionen in die Wildnis und die Ursprünge einer neuen wissenschaftlichen Disziplin, der Paläontologie, deren Auswirkung heute noch in der Form zahlreicher Fossilien weltweit in den Museen bestaunt werden kann. Aber auch die Geschichte der Entdeckung der Fossilien hat nichts von ihrer Attraktivität verloren und wird immer wieder in den Medien nacherzählt – zuletzt durch den posthum erscheinenden Roman Dragon Teeth von Michael Crichton.

Durch den Fokus auf den Wettstreit von Cope und Marsh wird allerdings ein wichtiger Aspekt der Fossilienjäger übersehen, der in diesem Artikel im Fokus stehen soll: die Verbindung „Bone Wars“ und Siedlerkolonialismus. Dabei interessieren weniger die Unterschiede zwischen Cope und Marsh als die historischen Hintergründe und die Gemeinsamkeiten und Struktur der Expedition von Fossilienjägern im amerikanischen Westen des 19. Jahrhunderts. Durch eine Analyse dieser Elemente wird deutlich, wie der Siedlerkolonialismus Ideen einer amerikanischen Frühgeschichte prägte.

Abbildung 3: Historische Karte des U.S. General Land Office, 1878. Die Karte zeigt mehrere Elemente einer Infrastruktur der Enteignung der indigenen Bevölkerung auf. Die roten Linien stellen Eisenbahnlinien dar und repräsentieren die Einfallslinien der Siedler in das Gebiet der indigenen Bevölkerung. Reservationen (grüne Flächen), als die vorhergesehenen Endziele der enteigneten Stämme, sind ebenfalls bereits vermerkt. Militärische Gebiete und Stützpunkte (rot) stellen Zentren der Kolonialmacht dar. Die Karte entstand zwei Jahre nach der Schlacht am Little Big Horn, in der George A. Custer von einer Koalition mehrerer Indianerstämme besiegt wurde. In der Folge wurden die Kolonisierungsversuche verstärkt, auch um Zugang zu den rohstoffreichen Black Hills, die im Vertrag von Fort Laramie 1868 den Sioux zugesprochen worden waren, zu erhalten.

Der koloniale Rahmen: Colorado, Nebraska und Wyoming im späten 19. Jahrhundert

Ende des 19. Jahrhunderts waren die Ausgrabungsstätten der Fossilien ein Teil der umkämpften Grenze zwischen der indigenen Bevölkerung und den Siedlern aus dem Osten. Nachdem die Union Pacific Railroad die Gegend für die ersten Siedler zugänglich gemacht hatte, führte die Expansion des Eisenbahnnetzwerks durch Verbindungen wie die Burlington and Missouri River Railroad zu einer intensiveren landwirtschaftlichen Erschließung. Kleine Farmen und größere Viehzuchtbetriebe entstanden zunächst nahe den Eisenbahnlinien, die einen Anschluss an die Märkte der amerikanischen Großstädte ermöglichten. Zusätzlich trug die Entdeckung von Gold in Wyoming und insbesondere Colorado ab den 1860er Jahren dazu bei, dass immer mehr Siedler in die Gegend kamen. Die traditionellen Landbesitzer, wie zum Beispiel die verschiedenen Stämme der sog. Great Sioux Nation, die Cheyenne und die Arapaho, kämpften gegen diese Invasion an und versuchten gleichzeitig ihre eigene Lebensweise zu schützen. Sie attackierten Eisenbahnlinien, das wahrscheinlich wichtigste Instrument der kolonialen Infrastruktur und Landnahme, störten die Erkundung ihres Landes, belagerten die Forts des amerikanischen Militärs und bedrängten die Siedler so weit wie möglich.

Abbildung 4: Goldabbau in Colorado 1875.
Abbildung 5: Ausgrabung von Fossilien in Wyoming 1898.

Kapitalismus, Siedlerkolonialismus und Fossilienjäger

Die Jagd nach Fossilien war ein integraler Bestandteil des kapitalistischen Siedlungssystems. Wie Abbildung 4 und 5 zeigen, waren die Unterschiede zwischen Ausgrabungen von Fossilien und Goldabbau kaum sichtbar und wurden von der indigenen Bevölkerung beide als Akt der Enteignung wahrgenommen.[1]Fossilien und andere Knochen aus Gräbern oder von Schlachtfeldern wurden von Siedlern und Wissenschaftlern genutzt um Geld zu machen. Sie wurden ausgegraben, arrangiert, präsentiert und oft an die Höchstbietenden verkauft. Die indigene Bevölkerung bekam den Gewinn, der aus ihrem Land gezogen wurde, nie zu Gesicht (höchstens kleinere Summen für Informationen zu möglichen Ausgrabungsstätten), weil sie – einer kolonialen Logik folgend – nicht in der Lage waren den wahren wissenschaftlichen und ökonomischen Wert der Fossilien zu erkennen. Aus der Perspektive der amerikanischen Siedler war die indigene Bevölkerung einfach nicht in der Lage, das Land und die Fossilien optimal – also kapitalistisch – zu nutzen. Die Enteignung des Landes aufgrund einer gefühlten landwirtschaftlichen Überlegenheit funktioniert ähnlich: nach westlichen Vorstellungen wurde das Land von der indigenen Bevölkerung nur unzureichend genutzt, daher war ihre Verdrängung durch eine andere ‚überlegene‘ Landnutzung nur natürlich. In dieser Logik des Siedlerkolonialismus fanden andere nichtkapitalistische Wirtschaftssysteme, welche erfolgreich die Basis für eine Vielzahl indigener Gesellschaften gebildet hatten, nur wenig Platz.

Abbildung 6: Nicht nur Fossilien waren ein Ziel der zahlreichen Expeditionen. Die Yale Expedition von 1870 mit Othniel Marsh als Teilnehmer konnte der Verlockung nicht widerstehen und plünderte die Grabstätten der lokalen indigenen Bevölkerung aus.

Die Lakota, so die Wissenschaftlerin Kyla Schuler, sahen Fossilien nicht als Zeichen einer urweltlichen Geschichte an, sondern erkannten in ihnen die Allgegenwertigkeit der Götter. Schuler verweist auf Adrienne Mayor, wenn sie argumentiert, dass die Lakota Fossilien in ihr religiöses, medizinisches, wissenschaftliches und historisches Weltbild integrierten. Die vergleichende Perspektive der Lakota brachte Fossilien mit den zeitgenössischen Tieren der Great Plains, wie zum Beispiel Büffel oder Ochsen, in Verbindung. Darüber hinaus spielten Fossilien in den Ursprungsgeschichten eine wichtige Rolle, in denen die Fossilien einst in einem riesigen See, der am Ende der letzten Eiszeit die Great Plains bedeckt hatte, lebten.[2]Fossilien übernahmen also eine wichtige Position in der Kultur der Lakota als Bindeglied zwischen Tieren, Land und Menschen. Sie wurden als Teil des Landes betrachtet, und die Zerstörung einer solchen Verbindung durch die Ausgrabung und den Diebstahl der Knochen wurde als Akt der Enteignung empfunden.

 

Fossilienjäger und die Infrastruktur des Siedlerkolonialismus

Dieser Eindruck der Enteignung wurde weiter durch die Kooperation der Fossilienjäger mit der kolonialen Infrastruktur bestätigt. Eisenbahnen, Telegraphen, das Militär, Siedler und das Bureau of Indian Affairs (BIA) spielten wichtige Rollen bei der Durchführung von Expeditionen und den Ausgrabungen der Fossilienjäger. Eisenbahnen ermöglichten den schnellen und billigen Transfer von Expeditionen nahe an die Ausgrabungsstätten und sicherten gleichzeitig den leichten Abtransport der Knochen. Über Telegraphenlinien konnten die Fossilienjäger einfach mit den Sponsoren der Expeditionen im Osten der USA kommunizieren. Soldaten begleiteten und schützten die Expeditionen und halfen mitunter bei den Ausgrabungen; die militärischen Forts und Büros des BIA waren wichtige Ausgangspunkte bzw. Zwischenstationen.

Aber die Fossilienjäger profitierten nicht nur von der Infrastruktur des Siedlerkolonialismus, sie halfen bei ihrem Ausbau. Der finanzielle Einsatz der Expeditionen (die Jagd nach Fossilien war ein teures Unternehmen) ging fast ausschließlich in die Erhaltung und den Ausbau dieser Infrastruktur. Siedler wurden als Teil der Expeditionen engagiert und konnten so eine weitere Einnahmequelle erschließen. Gleichzeitig wurden auf den Expeditionen strategisch wichtige Informationen für den Siedlerkolonialismus gesammelt: die Qualität von Land (z.B. für die agrarische Erschließung); das Vorkommen von seltenen Rohstoffen und Mineralien (z.B. Gold); neue Routen in bisher unbekannte oder bereits bekannte Territorien; und die Lage der lokalen indigenen Bevölkerung. Fossilienjäger produzierten Karten, jagten Büffel, fuhren mit der Eisenbahn und waren aktiv an der Enteignung der indigenen Bevölkerung im amerikanischen Westen beteiligt.

Anhand der “Bone Wars” lassen sich also eine ganze Reihe der Mikropraktiken des Siedlerkolonialismus nachweisen, die sich tief in die Identität der amerikanischen Nation eingeprägt haben. Das Ausgraben von Fossilien trug zur symbolischen und tatsächlichen Bemächtigung des amerikanischen Westens durch europäische Einwanderer bei. Marsh, Cope und andere frühe Paläontologen sind nicht, wie der Journalist Mark Jaffe schreibt, unabsichtlich und unwissentlich in einen Konflikt hineingeraten.[3] Sie waren ein aktiver Teil(nehmer) des Konflikts. Heutige Narrative über die Fossilienjäger ignorieren diese Involviertheit weitgehend und konzentrieren sich stattdessen auf den anekdotischen Aspekt des Wettstreits zwischen Cope und Marsh. Dadurch wird es auch unmöglich die Konkurrenz zwischen den Fossilienjägern als integralen Bestandteil und eine wichtige Antriebskraft des kapitalistischen Siedlerimperialismus zu begreifen. Das Narrativ der Konkurrenz und des Strebens nach persönlichem wirtschaftlichem Erfolg war auch Impulsgeber für andere Elemente des Siedlerkolonialismus wie Eisenbahnen, Telegraphen, die Landwirtschaft, den Bergbau, Entdeckungsreisen oder andere wissenschaftliche Unternehmungen. Eine biographische Herangehensweise hingegen koppelt die ‘wissenschaftlichen’ Expedition und die Anfänge der amerikanischen Paläontologie vom Kontext des Siedlerkolonialismus ab und kreiert dadurch eine fesselnde Geschichte, die letztendlich der Selbstdarstellung der Wissenschaft als unpolitisches Unternehmen dient.

 

LITERATURNACHWEIS

[1]Schuller, Kyla, S. 13.

[2]Schuller, Kyla, S. 11.

[3] Jaffe, Mark, S. 114.

 

LITERATUR:

Jaffe, Mark. The Gilded Dinosaur: The Fossil War Between E. D. Cope and O. C. Marsh and the Rise of American Science. New York: Crown Publishing Group 2000.

Schuller, Kyla. “The Fossil and the Photograph: Red Cloud, Prehistoric Media, and Dispossession in Perpetuity.” Configurations 24:2 (2016), S. 229-261.

Wolfe, Patrick. "Settler Colonialism and the Elimination of the Native". Journal of Genocide Research 8:4 (2006), S. 387-409.

 

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

Abbildung 1: Betts, Charles W. “The Yale College Expedition of 1870”. Harper’s New Monthly Magazine 43 (1871), S. 663-671, S. 665.

Abbildung 2: https://en.wikipedia.org/wiki/Bone_Wars#/media/File:Cope-and-marsh.png; Zugriff am 08.12.2016.

Abbildung 3: http://www.davidrumsey.com/luna/servlet/detail/RUMSEY~8~1~229659~5508249:-Map-11---Wyoming,-Nebraska,-Colora#; Zugriff am 08.12.2016.

Abbildung 4: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Gold_mining_in_Boren%27s_Gulch._La_Plata_County,_Colorado_-_NARA_-_517143.jpg; Zugriff am 08.12.2016.

Abbildung 5: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bone_Cabin_Quarry_1898.jpg; Zugriff am 08.12.2016.

Abbildung 6: Betts, Charles W. “The Yale College Expedition of 1870”. Harper’s New Monthly Magazine 43 (1871), S. 663-671, S. 665.